Und gleichzeitig ist Noise eben nicht nur ein vorgeschobener Intellekt-Gradmesser für die ganz laut nach Genugtuung schreienden Nerds, sondern auch eine musikalische Erfahrung, die ganz jenseitige Gefühle hervorzurufen vermag. Wer sich wirklich auf Noise einlässt und nicht gleich bei dem ersten anstrengenden Fiepen kapituliert, der findet in dieser Musik unter Umständen sogar Emotionen, die er gar nicht in arrangieren Klangkunstwerken oder sich selbst vermutet hatte. Das muss auch gar nicht heißen, dass am Ende dieses Weges notwendigerweise ein angenehmes Hörerlebnis entsteht. Vielmehr kann Noise mit seinen akustischen Erschütterungen auch nach Gefühlen der Destruktion und Verwirrung suchen oder schlicht die Frage beantworten, wie Musik denn klingt, wenn sie eben nicht „schön“ ist, wenn sie vielmehr das Hässliche, Abgründige zu vertonen sucht. Dass sich Menschen für einen Klang entscheiden, der ihnen bewusst keine Fluchtmöglichkeit bietet und nicht nach Zerstreuung, sondern auf Zerstörung zielt, ist eigentlich das größte Kompliment an die Flexibilität der musikalischen Kunst und an deren Hörerschaft.
Wo fängt man an, wenn man sich selbst zum ersten Mal einem solchen Universum hingeben möchte? Das Interessante am Begriff „Noise“ ist schließlich auch, dass er vieldeutig verwendet wird und sich nicht auf einen bestimmten Stil beschränken lässt. So ist es durchaus möglich, sich der Welt des Unklangs schrittweise zu nähern. Bands wie Metz, Heads. oder Decibelles, die in ihren Songs grundsätzlich noch lineraen Strukturen folgen, aber dabei auf eine maßlos übersteuernde Produktion bauen, sind vielleicht die besten Türöffner, um zumindest eine erste Vertrautheit mit der bewussten Verneinung vermeintlicher ästhetischer Grundregeln zu gewinnen. Auch in einigen Songs der vielumjubelten Daughters finden sich Elemente des bewussten Lärms, die zudem noch mit grandiosem Songwriting und einigen geradezu andächtig harmonischen Elementen konterkariert werden. Diese starke Kontrastierung zwischen Schmerz und Schönheit findet sich auch bei Visionist, der in seinen dunklen Momenten schon stark an der Grenze des Erträglichen arbeitet und es trotzdem schafft, einige klangliche Lichtblicke in seinen Sound zu basteln. Dass die elektronischen Künstler aktuell auch wirklich die Speerspitze in Sachen Grenzüberschreitung sind, zeigt schließlich Merzbow, dessen Musik für manche wohl eher Meme als Kunst ist, weil sie wirklich keinerlei Extrem mehr scheut. Und wer sich einmal in die langsamen Drone-Geschwader von Sunn O))) eingearbeitet hat, der kann erkennen: Was in der Musik erstrebenswert ist, kann schon lange nicht mehr von einer Instanz definiert werden.