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Sunn O))) und „Life Metal“: Meister der Entschleunigung

Wie langsam kann Musik sein?

Die Musikpsychologie findet auf diese Frage eine recht klare Antwort. Demnach können zwei aufeinanderfolgende Beats ab einem zeitlichen Abstand von über 1800ms vom menschlichen Gehirn nicht mehr intuitiv als rhythmische Einheit wahrgenommen werden. Daraus ergibt sich ein Threshold von ca. 33 bpm – das langsamst-mögliche Tempo und mithin Lieblingsgeschwindkeit des Funeral-Doom-Metal. Aber natürlich ist das nur die halbe Wahrheit. Schließlich existieren unzählige Stücke, die sich dieser rhythmischen Limitierung entziehen. Man denke hier zum Beispiel an Ambient-Music oder den Chef-Avantgardisten John Cage, dessen legendäres Orgelwerk „ORGAN²/ASLSP“ seit dem Jahr 2001 im Dom zu Halberstadt dargeboten wird und dort noch bis zum Jahr 2640 zu hören sein soll. Alle paar Jahre ändert sich mal wieder ein Ton; das ostdeutsche Städtchen wird dann regelmäßig zum Zielort von Cage-Pilgern aus der ganzen Welt, die den Klangwechsel entsprechend zelebrieren. Etwas praxistauglicher ist da schon der Ansatz von Cages Zeitgenossen, dem amerikanischen Komponisten La Monte Young. Seine „Composition 1960 #7“ dauert nur schlanke 45 Minuten, besteht dafür aber auch nur aus einem Akkord, überschrieben mit der Spielanweisung „to be held for a long time“. Der Startschuss für das moderne Drone-Genre.

Was das alles mit Sunn O))) zu tun hat? Nun, einerseits liegen darin die Ursprünge jener Stilrichtung, die die US-Amerikaner spätestens seit ihrem 2009er Album „Monolith And Dimensions“ unangefochten dominieren: Drone-Doom-Metal. Und anderseits braucht man für das Lesen dieses ausschweifenden musikwissenschaftlichen Monologs in etwa so lange wie Sunn O))) für einen Tonwechsel in ihren unendlich verlangsamten Riffs. Wer also bis hierhin noch dabei ist, der bringt eben jene Geduld mit, die für „Life Metal“ von Nöten ist.

Tatsächlich könnte man sich zwischen den ewig wabernden und erbarmungslos übersteuerten Gitarrenklängen auch locker mal einen Kaffee holen, ohne einen Ton zu verpassen. Gelegentliche Spielereien wie der Einsatz eines Glockenspiels auf „Troubled Air“ bleiben die Ausnahme, stattdessen dominiert während der stattlichen Spieldauer von 68 Minuten die brachial dröhnende Monotonie. Nur selten hebt sich der stetige Drone-Sound mal an, wie zum Beispiel zum Schluss von „Aurora“, oder versteckt sich im Mittelteil von „Novae“. Allein der Opener „Between Sleipnir’s Breaths“ bietet für Sunn O)))-Verhältnisse ein fast schon wildes Shredding, mit mehreren Tönen in einer Minute, noch dazu mit Gesangsbeteiligung! Ein kleiner Ausflug in die Gefilde von Sleeps „Dopesmoker“ und damit sicherlich einer der ereignisreicheren Tracks der Platte.

Sagen wir mal wie’s ist: Es passiert nicht viel, auf rein quantitativer Ebene. „Life Metal“ ist noch purer als vergangene Sunn O)))-Produktionen und darauf muss man sich einlassen können. Schafft man das aber, entwickelt der Sound eine geradezu meditative Wirkung, die selbst über Kopfhörer eine ungeheure physikalische Wucht entfesselt. Minimalismus geschieht hier in Form von sonischer Überwältigung und es lässt sich nur erahnen, wozu diese Musik mithilfe der Wagenladungen an Röhrenverstärkern im Stande ist, die Sunn O))) auf ihre Live-Konzerte karren.

Fazit

7
Wertung

Mit „Life Metal“ besinnen sich Sunn O))) auf alte Stärken und rücken den meditativen Aspekt der Musik in den Mittelpunkt. Der von Produzenten-Legende Steve Albini abgenommene Sound ist brachial wie eh und je, wenngleich etwas weniger düster als auf den Vorgängeralben. Leider geht damit auch ein Stück des Detailreichtums verloren, sodass „Life Metal“ neben einer gewissen Grundstimmung auch eine ordentliche Portion Durchhaltewillen voraussetzt.

Felix ten Thoren