Dass man mit Grunge heute keinen Teenager hinter dem Ofen hervorlockt, der nach Kompensation für seine Verzweiflung sucht, muss man eigentlich keinem mehr erzählen. Wie dermaßen tot Grunge 2021 ist, beweist aber am besten einen Blick auf die Wikipedia-Seite von Nickelback. Da ist als erstes Genre „Post-Grunge“ aufgelistet – und wenn das der aktuelle Stand dieser Subkultur ist, dann gute Nacht. Immer mal wieder erhebt sich aus der Mitte irgendeines Rockschuppens auf der Welt eine Band, die sich dazu berufen fühlt, den Sound wieder auszugraben. Gruppen wie die Blues Pills sind damit zum Beispiel auch außerordentlich erfolgreich. Aber solche Momente ziehen ihre Qualität eher aus der Nostalgie und der Retrospektive, als massenbestimmend zu sein. Das ist Grunge seit dem Tod von Kurt Cobain nicht mehr gewesen und auch der Suizid von Chris Cornell 2017 sorgte dafür, dass das Genre zunehmend zu einer Erinnerung wird.
Die Welt und die Popkultur verändern sich, das ist nur natürlich. Ebenso gegeben ist dabei aber auch immer, dass Menschen auf der Strecke bleiben. Bands wie Pearl Jam oder Mudhoney sind die letzten großen Überlebenden aus der Grunge-Ära. Ihr Status ist so fest zementiert, dass sie sich wohl für den Rest ihres künstlerischen Daseins keine Sorgen mehr machen müssen. Aber manchmal fragt man sich schon, ob solche Bands auch darüber nachdenken, was wohl passieren würde, wenn sie heute noch mal ganz von vorne anfangen würden. Was, wenn es den Nostalgie-Faktor nicht mehr gäbe? Was für Musik würde Eddie Vedder dann heute machen? Wäre er genau so erfolgreich? Oder hätte er überhaupt eine künstlerische Existenz?
Vielleicht noch viel ärger dran sind diejenigen, die nicht die Gesichter von Popikonen tragen, aber im Hintergrund trotzdem genau so wichtig für das Erstarken einer Musikrichtung waren. Das heute immer noch kultige Label Sub Pop hat Ende der 80er einige der wichtigsten Platten des Genres herausgebracht. Bis heute ist der erfolgreichste Release des Labels das Nirvana-Debütalbum „Bleach“, das sich weltweit über vier Millionen Mal verkaufte. Noch vor Nirvana erschien bei Sub Pop die allererste Soundgarden-Single „Hunted Down“, auch die ersten beiden EPs der für den „Seattle-Sound“ maßgeblichen Band waren Sub-Pop-Releases. Während Soundgarden und Nirvana schließlich zu anderen Plattenfirmen zogen, sind Mudhoney bis heute dort. Nach einem zwischenzeitlichen Intermezzo beim Frank-Sinatra-Label Reprise ist die Band mittlerweile wieder zurück in ihrer alten Heimat.