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All diese Gewalt und „Alles ist nur Übergang“: Auf der Schwelle treten

Das Soloprojekt von Die-Nerven-Mitglied und Producer-Mastermind Max Rieger geht in eine neue Runde – und kann vielleicht erstmals von sich behaupten, so etwas wie eine eigene künstlerische Mitte entdeckt zu haben.

In einem Interview, das Max Rieger im Zuge seines letzten All-Diese-Gewalt-Albums „Andere“ mal mit dem Diffus-Magazin geführt hat, sagte er sinngemäß, die Spannung eines musikalischen Projekts liege oft gerade darin, dass unter dem selben Namen ganz unterschiedliche Dinge erscheinen, dass in der Entwicklung und nicht in der Neuformierung die Aufregung von Kunst liege. Rieger spielte damit in die Karten seiner damals aktuellen Platte, die mit dem Vorgänger „Welt in Klammern“ stark gebrochen hatte. Stellenweise wurde der Künstler richtig cineastisch, anstatt wie vorher auf Sublimität und Unterschwelligkeit zu setzen, seine Songs bekamen teilweise deutlich klassischere Strukturen und lebten noch mehr durch ihre untereinander stark kontrastierenden Texturen. All Diese Gewalt, so könnte man sagen, sprach zu diesem Zeitpunkt klarer, konturierter und lauter denn je.

Ziemlich genau drei Jahre später steht mit „Alles ist nur Übergang“ wieder ein Nachfolger bereit und Rieger lotet sich dieses Mal nicht in erster Linie mit Grenzbruch, sondern mit Erfahrungen aus. Vielerorts klingt seine neue Platte nämlich nach einer Mitte der beiden Vorläufer. Rieger arbeitet insgesamt wieder mit deutlich weniger Explosionspotential, lediglich „AB AB AB“ schlägt zeitweise sehr scharf in den Gehörgang. Ansonsten bedient sich Rieger dem Subtilen und Unaufgeregtem, ohne dabei die geradezu geisterhafte Atmosphäre eines „Maria in Blau“ wieder aufleben zu lassen.

Wer letztere sucht, könnte von „Alles ist nur Übergang“ etwas allein gelassen sein. Dafür gelingt Rieger der schwierige Spagat, deutlich und gleichzeitig nicht platt zu sein – etwa in „Ihr seid nicht allein“, das sich ähnlich wie das überragende „Blind“ auf dem Vorgängeralbum wie eine Umarmung in der Ziellosigkeit anfühlt und zu den größten Momenten des Albums gehört. Während dieser Song vor allem durch seine Eindeutigkeit besticht, markiert sich „Alles ist nur Übergang“ aber auch dann als besonders, wenn gerade alles besonders ungenau erscheint: „Beleuchtete Höhle" etwa lebt von stetig steigenden und sinkenden Intensitäten, und in „21 Gramm“ oder dem fantastischen „Zu Staub werden“ arbeitet Rieger mit einzigartig gefärbten Stimmungen, die einem Schauer über den Rücken jagen können. Man könnte denken, „All diese Gewalt“ hat seinen Stil allmählich entdeckt – was freilich nur die Momentaufnahme eines spannenden Projekts sein muss.

Fazit

7.5
Wertung

Riegers neue Farben sind sicherer denn je. Spannender war er nur, als alles so gar nicht mehr greifbar schien.

Jakob Uhlig