Hendrik Otremba und „Riskantes Manöver“: Zwischen Welten

Wahrscheinlich müsste man Hendrik Otremba als Workaholic klassifizieren. In weniger als einem Jahr hat der Messer-Frontmann einen Roman, einen Gedichtband und jetzt ein Solo-Album veröffentlicht. Ein „Riskantes Manöver“, so wie dessen Titel androht?

Hendrik Otremba ist ein Allround-Künstler. Er singt bei der Post-Punk-Band Messer, malt Bilder, gestaltet Albencover, schreibt Journalistisches, Lyrisches und Romane. Jetzt ist mit „Riskantes Manöver“ sein erstes Solo-Album erschienen. Es setzt genau da an, wo sich sein anderes Werk verorten (oder besser gesagt, nicht verorten) lässt: in einer zeitlos erscheinenden Postapokalypse, in der jedoch die von Hollywood versprochenen große Explosion ausgeblieben ist. Irgendwas stimmt nicht in dieser Welt, von der Otremba erzählt. Aber ob es ein Zukunftsentwurf, eine Gegenwartsdiagnose oder eine Reminiszenz an eine Vergangenheit ist, bleibt unklar.

„Riskantes Manöver“ ist durchzogen von dieser unterschwelligen Paranoia, die auch Träume auszeichnet. Die sich in den assoziativen Texten äußert, ohne völlig losgelöst von einer Erzählung zu sein. „Im Pelzmantel, Cretin“ oder „Der Gräber“ könnten auch einen Roman einleiten. Über eine dreiviertel Stunde treibt „Riskantes Manöver“ einen durch Szenen und Gefühle, jagt einem Schauer über den Rücken, lässt einen wahlweise die Augen schließen oder nochmal über die Schulter schauen.

Wie Filmmusik legen sich darunter Klavier, Streicher, Saxophon und Schlagzeug, um diese Wirkung zu intensivieren und gleichzeitig einen Zugangspunkt zu bieten, der alle, die Lou Reed oder Scott Walker etwas abgewinnen können, abholen wird. „Smog in Frankfurt“ klingt in seinem Zusammenspiel von straightem Schlagzeug, der sporadisch solierenden Gitarre und den Stimmen von Hendrik Otremba und Stella Sommer, lakonisch-sehnsüchtig aus dem Großstadt-Moloch erzählend, wie übrig geblieben von „The Velvet Underground & Nico“.

Immer wieder kommen einem auch Vergleiche zu den Einstürzenden Neubauten in den Sinn, am deutlichsten wahrscheinlich im Noise-Gewitter von „Nektar, Nektar“. All diese Einflüsse, mit denen „Riskantes Manöver“ flirtet, sind nicht weit von einem gewissen Kunstmann-Habitus entfernt, „Bargfeld“ nimmt gar die Perspektive des experimentellen Schriftstellers Arno Schmidt ein. Das mag für manche Hörende nur schwer ertragbar sein, aber es ist konsequent in Form und Inhalt. Und dass Hendrik Otremba diese Konsequenz multimedial und mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit durchzieht (sein letzter Roman ist 8 Monate, sein erster Gedichtband nur wenige Tage alt), ist wirklich beeindruckend.

Fazit

8
Wertung

Zu kantig für Pop, zu wenig treibend für Post-Punk, zu paranoid für Chanson: So wie Hendrik Otremba mit seiner Kunst selbst ein Wandler zwischen den Welten ist, genauso schwierig ist es, „Riskantes Manöver“ in eine Kategorie zu fassen. Trotzdem verliert es sich nicht in Beliebigkeit, sondern schafft ein eindringlich stimmungsvolles Hörerlebnis.

Steffen Schindler