Die Musikindustrie ist wirklich selten fair zu Künstlern. Dennoch haben die vergangenen Jahre auch immer wieder demonstriert, dass selbst in Nischen-Genres Ausnahmewerke ihr verdientes Publikum bekommen können. Dass Touché Amoré mit ihrem einnehmenden Requiem „Stage Four“ 2016 weltweit den Sprung in deutlich größere Clubs schafften, ist ein Beleg für diese These. Dass Daughters im vergangenen Jahr mit ihrem garstigen Comeback nach zwölf Jahren Abstinenz plötzlich in zahlreichen Jahresendlisten als eine der spannendsten Bands überhaupt gehandelt wurden, ist ein befriedigendes Resümee. Und dass die Black-Metal-Blues-Fusion Zeal & Ardor eine Genre-Lücke füllen konnte, von deren Existenz vorher niemand überhaupt wusste, lässt alle Nörgler verstummen, die weiterhin darauf beharren, dass früher ja doch alles besser war.
Ein solcher Effekt blieb für die Kora-Winter-EP „Welk“ vor zwei Jahren weitgehend aus – dabei waren die gerade mal drei vollwertigen Songs dieser Platte in der Tat bemerkenswert. Die Berliner türmten mutige Mathcore-Gewitter auf, die trotz ihrer Vertracktheit nicht maximal akrobatische Tonfolgen, sondern Emotion als erste Prämisse hatten. Die kurze Spielzeit des Werks war gespickt mit tollen Ideen, die von einem Saxofon-Solo bis hin zum in einer weitläufigen Lagerhalle aufgenommen A-Capella-Interlude reichten. „Welk“ war nach Kora Winters Rohdiamanten „Blüht“ das erste Ausrufezeichen einer Band, die das Potential besaß, zu einem der spannendsten zeitgenössischen Szene-Angelpunkte zu werden. Das Debütalbum hat somit die schwere Aufgabe zu beweisen, dass sein Vorgänger nicht nur ein Glückstreffer war. Was aber „Bitter“ dieser Hürde entgegenstellt, war kaum zu erwarten.
Nur acht Songs benötigt das Quintett, um ein musikalisches Fegefeuer zu entfachen, das brutaler zu Werke geht als die schrägsten Dissonanz-Kruzifixe der meisten Noise-Acts. Der Opener „Stiche II“ erweist sich dabei noch als introvertiertester Song der Platte und öffnet unter gehetztem Atem, fernen Orgelklängen und rotierenden Gitarrennoten die atmosphärische Grundlage für den wohl gnadenlosesten Longplayer des Jahres. Mit klagendem Tonus beschreibt Frontmann Hakan Halaç sein inneres Gefühlsleben und schafft damit gleichzeitig einen impliziten Bezug zum Song „Stiche“, der auf der „Welk“-EP ein zentrales Organ dargestellt hatte: „Und ich weiß wie sehr es schmerzt/ Ich hab den Stich noch in der Brust/ Das Pumpen in den Adern/ Den Geschmack von Blut im Mund.“ Kora Winters Lyrik ist an vielen Stellen so ergreifend, weil sie Abgründe mit expliziter Schärfe darstellt, ohne dabei plump zu wirken. Wenn die Band zum Beispiel im Titelsong unnachahmlich eindringlich den Absturz in eine Drogenhölle beschreibt, dann kann man im geradezu blutspeienden Refrain kaum anders, als sich beklommen in das lyrische Ich hineinzufühlen. Die Divergenz der Geschichten auf „Bitter“ wird aber vor allem dann deutlich, wenn Halaç zwischendurch nicht schreit, sondern in sanglichere Passagen verfällt – ein Element, das sich auf Kora Winters Debütalbum wesentlich ausgeprägter als noch auf den EPs zeigt und das der Musik trotz aller Brutalität ein Stück Verletzlichkeit verleiht. „Im Eifer des Gefechts hab ich vergessen wie man lacht/ Ich hab die ganze Zeit damit verbracht nur zu schreien“, singt Halaç in „Eifer“ dazu sehr bildlich. „Bitter“ ist eine kaum zu ertragende Gefühlsohnmacht, die zwischendurch zwar immer wieder in reflektierte Ruhepole findet, aber trotzdem ständig von erneuten Rückschlägen niedergedroschen wird.