Ein zweites Album einer Band oder einer Künstlerin muss sich, so will es das Gesetz des Musikjournalismus (*Anm. d. Red.: Da muss ich mir an dieser Stelle wohl auch selbst den Hut aufsetzen), mit dem Debütalbum messen. Eigentlich eine absurde Erwartungshaltung. An dieser Stelle sei nur ein kurzer Exkurs in diesen ausgetretenen Dialog erlaubt, einfach weil es so ein passendes Bild ist. Hört man nämlich beide Alben von Kora Winter, kann man doch recht schnell erkennen: All die Wut, der Schmerz, die innere Zerrissenheit, in denen sich Frontmann Hakan Halaç auf “BITTER” versenkt, kehren sich nun in einer Eruption nach außen. Selbstzerstörung wird zur Anklage.
Nun aber von vorn: “Gott Segne, Gott Bewahre” beginnt mit der ominösen Aufnahme, in der offenbar jemand Tarot-Karten gelegt bekommt. Ob dieser schwerwiegenden Aufgabe braucht dieser jemand erstmal “15 seconds to think”. Was dann folgt, ist ungefähr so, als hätte die Hörer:in Kora Winter gefragt: “Ok, kann ich kurz Luft holen?” Worauf die Band verständnisvoll “ja klar” erwidert, nur damit einem im nächsten Moment der silber-grinsende Teufel vom Albumcover die Luft aus dem Hals presst. Auf den abzüglich der Interludes neun Tracks des Albums wüten sich Kora Winter durch erwartungsgemäß komplexe Riff-Intermezzos, die mit jedem Anschlag einen neuen Nervenknoten treffen. Merklich ist hier, dass sich die Gitarristen Yuki Bartels und Ferhan Sayili an vielen Stellen etwas zurücknehmen, die brachiale Direktheit der vertrackten Ideenfülle vorziehen. Das steht “Gott Segne, Gott Bewahre” insgesamt sehr gut zu Gesicht, auch weil dadurch mehr Platz für andere, nicht unbedingt gitarrenfokussierte, Ideen frei wird. Verkühlte Synthesizer, epochale Chöre und auch das ein oder andere Sample komplettieren das emotionale Spektrum der Platte und verhelfen der Band so zu bisher unerreichtem Facettenreichtum.