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Zeal & Ardor und ihr selbstbetiteltes Album: der Todgeweihten Gruß

Dass Manuel Gagneux mit Zeal & Ardor eines der spannendsten musikalischen Projekte der letzten Jahre aus dem Boden gestampft hat, ist unter Fans seit “Devil Is Fine” unumstritten. Vier Jahre nach dem Epos “Stranger Fruit” sind Zeal & Ardor so spannend wie nie.

Dass Zeal & Ardor sich mit dem Black Metal ausgerechnet eine Szene ausgesucht haben, die selbst innerhalb der oft von Gatekeeping und Konservatismus geprägten Metal-Landschaft eher als Innovationsmuffel gilt, und dann auch noch so einschlagen, wie sie es mit ihrem Debüt 2017 taten, zeugt von dem ungeheuren kreativen Potenzial, dass von diesem Musiker und diesem Projekt ausgeht. Das selbstbetitelte Album “Zeal & Ardor” ist nun wahlweise das letzte Aufbäumen vor dem so oft prophezeiten Tod der Rockmusik, oder aber der nekromantische Zauber, der ihr wieder zu neuem Leben verhilft. So oder so ist dieses Album nicht weniger als monumental.

Sieht man sich die Albumhistorie von Gagneux’s Band an, fällt schnell auf, dass der Schweizer es mit jedem neuen Release besser verstand, die verschiedenen Genres seiner Musik miteinander zu verweben. Diese Entwicklung findet nun auf “Zeal & Ardor” ihren vorläufigen Höhepunkt. Es gibt kaum noch den einen Black-Metal-Song, den einen Gospelsong, den einen Bluessong, wie es noch auf den Vorgängerplatten deutlicher zu erkennen war. Das gesamte Album wirkt so organisch und aus einem Guss, dass man meinen könnte, die wilde Genrekombination aus Black Metal und diversen Einflüssen afroamerikanischer Musik sei nicht am Reißbrett erdacht, sondern tatsächlich historisch gewachsen. Und trotzdem finden sich auf dem Album keineswegs nur die altbekannten Klänge in einer Art “Version 2.0.” Gagneux findet mit Tracks wie “Emersion” und “J-M-B” immer wieder Platz für Neues, seien es verträumte Pianopassagen oder fast schon an Indierock erinnernde Gitarrenläufe.

“Golden Liar” wirft uns in ein vierminütiges Westernepos, komplett mit Outcastprotagonist:in und Goldrausch-Vibes, aber mit der rohen Emotionalität des Black Metal und der stillen Epik der immer wiederkehrenden Gospelchöre. Die gelegentlichen Sprachwechsel in Latein und Deutsch (“Death to the Holy”, “Götterdämmerung”) bringen das satanistische Konzept der Band immer wieder stimmig zum Vorschein. Songs wie “Run” und das brachiale “I Caught You” transportieren die Geschichtenerzähler-Qualitäten von “Stranger Fruit” und geben ihnen mit kryptischen Lyrics eine Zeitlosigkeit, die die Band zuvor nur selten erreichen konnte. “Zeal & Ardor” ist weder so offen politisch wie die “Wake of a Nation” EP, noch so entfernt märchenhaft wie die ersten beiden Platten.

Hinzu kommt die wie immer grandiose Performance von Gagneux selbst, der diesmal aus seiner Stimme ein emotionales Spektrum rauskitzelt, von dem sich andere wünschen würden, nur einen Bruchteil abrufen zu können. Produziert wurde “Zeal & Ardor” von niemand geringerem als Zebo Adam. Am bekanntesten ist der Österreicher wohl für die Produktion des bahnbrechenden Bilderbuchalbums “SCHICKSCHOCK”, hier macht er nun deutlich, dass dieser Typ offenbar alles gut klingen lassen kann. Jede noch so kleine Nuance im Soundbild ist deutlich herausgearbeitet, die gebrechlichen Klaviereinlagen genauso wie die schmetternden Gitarrenlawinen. Auf dem bis auf die markerschütternden Zwischenschreie instrumentalen Song “Emersion” zeigt sich das ganze Ausmaß von Adams Produktion. Der Song beginnt mit einem fast schon nach ambient klingenden Intro aus Drums und Synthesizern, nur um nach 30 Sekunden in ein Blastbeatfeuerwerk mit bitterböser Verzerrung zu eskalieren. Dieser Stilwechsel vollzieht sich innerhalb der dreieinhalb Minuten Laufzeit mehrere Male, ohne dabei irgendwas von seiner Schlagkraft einzubüßen. Über die Zeit schleichen sich die Black-Metal-Gitarren immer mehr in die Idylle der Zwischenstrophen ein, bis der Song dann wieder mit seichtem Klavier ausklingt.

Zeal & Ardor stecken so viel Kreativität und Stilsicherheit in 44 Minuten, wie andere Künstler.innen in ihrer gesamten Karriere nicht anzusammeln vermögen. Wenn der Rock tatsächlich sterben sollte, hat er mit Manuel Gagneux und Zeal & Ardor einen mehr als würdigen Sargträger gefunden.

Fazit

10
Wertung

Ich habe schon “Stranger Fruit” heiß und innig geliebt, aber “Zeal & Ardor” gehört wohl zum Besten, was ich in meinem Leben je gehört habe. Man kann die Entwicklung dieses Künstlers live mitverfolgen. Es ist, als seien alle Genreexperimente, alle cleveren Spielereien und alle sorgfältig erdachten Konzepte auf genau dieses Album hinausgelaufen.

Kai Weingärtner
8.7
Wertung

Grund für den Hype um Zeal & Ardor war vor allem die Faszination des Ungewöhnlichen, des bisher Ungehörten. Sie ist auf diesem dritten Album verflogen, aber gerade das macht die Stärke der Platte aus. Die Kontraste, die Manuel Gagneuxs Projekt von Anfang an prägten, sind endgültig kein Gimmick mehr, sondern wirken absolut organisch, in sich logisch und trotz aller Härte abwechslungsreich.

Steffen Schindler