Zeal & Ardor’s Black Black Metal: Von der Utopie zum Aufschrei

Was wäre wenn…? Eine Frage die sich in der Popkultur häufig gestellt und dann mit mal mehr mal weniger guten Geschichten beantwortet wird. Was wäre, wenn Superman in der UdSSR, statt in Kansas gelandet wäre? Eines solche Frage stellte sich auch Manuel Gagneux, und erfand als Antwort eine der spannendsten Bands der letzten Jahre.

Die “Originstory” von Zeal & Ardor ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Als Gagneux, Sohn einer Schweizerin und eines Afro-Amerikaners, online nach Inspiration für ein neues Projekt sucht, bekommt er unter seinem Post in dem für Trolling und grenzwertigen Content bekannten Forum 4chan einen rassistischen Kommentar. “Black Metal and [N-Wort] music” lautete die Antwort eines Users auf die Frage, welche zwei Genres Gagneux zusammenbringen solle. Statt den Kommentar nur zu melden oder sperren zu lassen, nahm der die Herausforderung an und begann die Arbeit an dem, was 2017 unter dem Namen Zeal & Ardor die Metalszene ein kleines bisschen auf den Kopf stellen würde.

Statt aber einfach nur die verschiedenen Genres miteinander in einem einmaligen Mashup zu vereinen, überlegte Gagneux sich für seine neue Band eine komplette Hintergrundgeschichte. Hierzu eine kurze historische Exkursion: Der im Zuge der Kolonialisierung Afrikas und Amerikas von den Europäern aufgebaute transatlantische Sklavenhandel gilt als eine der größten und folgenreichsten menschlichen Katastrophen der Geschichte. Zu zehntausenden wurden nichtsahnende Menschen in den Kolonien auf Schiffe verladen und in die sogenannte “Neue Welt” gebracht, in der sie für die Kolonialherren schuften mussten. Kaum ein historisches Ereignis zeigt seine Ausläufer so deutlich noch heutzutage und in gegenwärtigen Problemen. Da das wohl auch in Europa entgegen den Standards für ein menschenwürdiges Miteinander ging, musste ein Narrativ her, das den Kolonialherren und Profiteur:innen des Sklavenhandels das schlechte Gewissen abnahm. Dieses Narrativ besagt, dass die Europäer:innen als von Gott erwählte Vertreter:innen den ungebildeten Heiden aus Afrika zu einem besseren Leben verhelfen würden, indem sie sie von ihrem Zuhause in die fortschrittliche Welt des Westens integrieren. Soweit zumindest das Versprechen, die systematische Ausbeutung und strukturelle Unterdrückung wurden dabei großzügig unter den Tisch fallen gelassen. Ein essentieller Bestandteil dieser “Befreiung” bestand darin, den Sklaven den europäischen Glauben nahezubringen, oder präziser gesagt, aufzuzwingen. Das nennt sich dann Zwangschristianisierung, und war aus europäischer Sicht ein voller Erfolg. Viele Sklaven nahmen den Glauben an und es entwickelte sich über die Jahre ein ganz eigener “Stil” der Religionsausübung, der auch die Gospelmusik und damit eines der Genres, bei denen sich Zeal & Ardor bedient, hervorbrachte. Zusammen mit den von Call-and-Response-Gesängen geprägten Work Songs und dem Blues bildet der Gospel die afro-amerikanischen Einflüsse von Zeal & Ardor ab. Aber was wäre nun, wenn die Sklaven sich gegen den Glauben entschieden hätten? Was wäre, wenn sie statt Gott seinen kosmischen Widersacher angebetet hätten?

Auch hierfür fand Gagneux ein klangliches Beispiel mit geschichtlichem Hintergrund. Das mit der Zwangschristianisierung war nämlich keine neue Idee. Hatte ja schon im Mittelalter bei den iro-schottischen und sächsischen Stämmen geklappt. Allerdings gab es vor Allem im heutigen Skandinavien große Gegenbewegungen, die sich von dem ihnen aufgezwungenen christlichen Glauben abwandten und stattdessen eine Art Frühform des Satanismus praktizierten. Und hier kommt der Black Metal ins Spiel. Indem sich Gagneux die Frage stellt, wie sich die Musik der Sklaven anders entwickelt hätte, wenn sie sich statt dem Christentum dem Satanismus verschrieben hätten, öffnet er nicht nur die Tür für die ungewöhnliche Genrekombination von Zeal & Ardor, sondern schafft auch einen eigenen kleinen Mikrokosmos, quasi eine antikoloniale Utopie.

Während Zeal & Ardor’s ersten beiden Platten “Devil Is Fine” und das großartige “Stranger Fruit” diese neugefundene Welt mit Leben (oder viel mehr Tod) füllen, begann mit der im vergangenen Jahr erschienenen EP “Wake of a Nation” die inhaltliche Bewegung zu einem eher tagespolitischen, gesellschaftskritischen Ton. Während Songs wie “Servants” und “Row Row” die Geschichte der Sklaverei neu beleuchten und aus einer anderen Perspektive erzählen, widmet sich Gagneux auf Songs wie “Vigil” oder auch “Tuskagee” anlässlich des Mordes an George Floyd durch einen Polizisten den Gewalttaten gegen die schwarze Bevölkerung Amerikas in der jüngeren Geschichte. Schon “Devil Is Fine” und “Stranger Fruit” waren durch ihre bloße Existenz und Prämisse tiefgreifend politische Werke, aber mit “Wake of a Nation” macht Gagneux seine Musik zu vertontem Protest. Ein Protest, der angesichts der noch immer vorherrschenden strukturellen Diskriminierung von Afro-Amerikaner:innen nicht wilkommener hätte sein können. Vor allem in einem sonst eher weißen Genre wie dem Black Metal. Auch die Singles von Zeal & Ardor’s neuem Album, das im Februar 2022 erscheint, gehen textlich weiter in diese Richtung. “Götterdämmerung” beschäftigt sich beispielsweise mit der Thematik Fake News, bedient sich dabei aber bandtypischen Satanismusästhetik. “Bow” findet ähnlich klare Worte für den gesellschaftlichen Kurs der Vereinigten Staaten: “Go blind in the cage we erected”, “Bow down to the American way”. Zeal & Ardor bleibt mit seiner einzigartigen Kombination aus Kunst und Politik einer der spannendsten Künstler:innen der letzten Jahre, bei dem man stets das Gefühl hat, er habe sein Potenzial noch nicht mal zu Hälfte ausgeschöpft.