Oute ich mich nun als absoluter Jazz-Amateur, wenn ich als mein liebstes Genre-Stück "So What" von Miles Davis nenne? Sehen wir's doch mal anders: Wie könnte diese Liste ohne das zentrale Aushängeschild eines der besten Alben aller Zeiten auskommen? "Kind Of Blue" ist nicht nur ein absoluter Meilenstein für jegliche Art von Jazz, sondern gehört in meinen Augen auch zu den lebendigsten und echtesten Platten, die die Geschichte jemals hervorgebracht hat. Eines der faszinierendsten Dinge am Jazz ist schließlich, wie viel einfach aus dem Moment heraus entsteht. "Kind Of Blue" hat derartig viele einprägsame Melodien gehabt, derartig viele ikonische Soli, die ich teilweise von vorne bis hinten mitsingen kann, dass es für mich unvorstellbar ist, dass fast die gesamte Musik des Albums spontan entstanden ist und sich an einem anderen Tag auch ganz anders hätte ereignen können. Um so aufschlussreicher und spannender sind deswegen auch später erschienene Neuauflagen, die als Bonusmaterial alternative Takes enthalten. "So What" steht als Opener und ikonischstes Stück der Platte an dieser Stelle eigentlich vor allem stellvertretend für ein manifestes Gesamtwerk, das allerdings auch als Einzelstück viele Maßstäbe - nicht nur für dieses Album - festlegte, sondern der ganzen Idee des modalen Jazz' ein Gesicht gab. Soli ziehen sich teilweise Ewigkeiten über ein und den selben Akkord und werden dabei trotzdem nicht langweilig, sondern zeigen im Gegenteil, wie viel Potential in einer einzigen Harmonie steckt. Als beeindruckendstes Zeugnis für den Einfluss des Stücks kann aber vielleicht auch gedeutet werden, dass die eröffnende Akkordverbindung heute Standard-Material in jeder größeren Jazz-Fibel ist. Dem Original ehrend wurden die zwei Zusammenklänge "So-What-Akkorde" genannt.
Und damit ich hier nicht als Mensch stehen bleibe, der nur die Klassiker nennt: Den verwobenen Sounds des Esbjörn Svensson Trios werde ich nie müde werden (aktueller Lieblingstipp: "The Goldhearted Miner"), Omer Kleins "Fearless Friday" ist genau die Art von beschwingtem Kaffeehaus-Jazz, die ich an tristen Tagen manchmal brauche, nach dem genialen Drumming von Yussef Dayes auf Yussef Kamaals "Black Focus" bin ich in letzter Zeit geradezu süchtig geworden (Shoutout an meinen Kollegen Kai, der tatsächlich mal was Gutes im Kreuzverhör vorgestellt hat) und für die sublimen Sounds in Daniel Herskedals "Call For Winter" habe ich erst kürzlich eine ungeheure Faszination gewonnen.