Im Kreuzverhör

Im Kreuzverhör #12: Metallica - "St. Anger"

Einmal monatlich stellt sich die Redaktion gemeinsam Platten außerhalb ihrer Komfortzone. Dieses Mal wirft Marco einen umstrittenen Thrash-Metal-Klassiker von Metallica in den Ring. Als Gast ist Konstantin Cajkin von Kind Kaputt dabei.
St Anger Kreuzverhör

Das bei der Plattenauswahl mutmaßlich getragene, schelmische Grinsen ist leicht vorstellbar. Nach dem wuchtigen „Hardwired To Self-Destruct“ schlagen wir in dieser Ausgabe unseres Kreuzverhörs ein gleichermaßen verteufeltes und im Zuge dessen wohl auch unterrepräsentiertes Kapitel der Geschichte um Metallica auf. Über die blechdosenartige Abmischung wurde genug gestritten, als dass diese maßgeblich in die qualitative Bewertung einfließen sollte. Sie verleiht dem Album einen unverwechselbaren Status im Gesamtwerk, so viel steht fest. Davon abgesehen konfrontieren die Thrash-Giganten ihre Hörerschaft mit einer abwechslungsreichen Mixtur aus der Frühzeit und dem darauf einsetzenden, kommerziellen Durchbruch. Sei es die ungestüme Rohheit im Mittelteil von „Dirty Window“, die markerschütternde Härte von „Shoot Me Again“ oder das allmächtige, mit New-Metal-Anteilen gewürzte „St. Anger“ selbst: Gewöhnungsbedürftigkeit steht nicht zwingend für Montagsproduktionen. Auch „The Unnamed Feeling“ wirkt zunächst verschroben und eigenbrötlerisch, taut jedoch von Mal zu Mal weiter auf. Dies reicht zwar am Ende nicht für den Status eines Klassikers, doch auch Tupperware hat ihre Vorzüge.

„St. Anger“ ist neben der Collabo-Produktion mit Lou Reed das vielleicht meist verhasste Metallica-Album. Allerdings hat „LuLu“ den Vorteil, dass keine Sau den Schrott kennt. Und der große Unterschied: „St. Anger“ ist eine hervorragende Platte. Natürlich, ich wage es nicht, dieses Album in eine Reihe mit „Ride The Lightning“, “…And Justice For All“ oder dem „Black Album“ zu stellen. Aber es hat seine Daseinsberechtigung.  Und es ist ein wichtiger Punkt in der Vita von Metallica. 2002 stand die Band vor dem Abgrund und das in mehrerlei Hinsicht. Frontmann James Hetfield geriet mit Bassist Jason Newsted wegen dessen Nebenprojekt in Streit, woraufhin Newsted die Band verließ. Dazu kam auch, dass Hetfields Alkoholproblem zu eskalieren drohte, weshalb er sich in Therapie begab. Was auch aus musikalischer Sicht das Beste war. Denn was Hetfield in diesen Tagen komponierte, war, entschuldigt die Wortwahl, kompletter Müll. Aber nicht nur Hetfield stellte ein Problem dar. Lars Ulrich selbst kam mit der Situation überhaupt nicht klar und brachte Hetfield gegenüber kein Verständnis auf. Die ganze Geschichte wurde auch dokumentarisch festgehalten und unter dem Titel „Some Kind Of Monster“ in die Kinos der Welt gebracht. „St. Anger“ lebt, wie der Titel schon sagt, von Wut und Verzweiflung. Es ist härter, es ist düsterer, was auch daran liegt, dass es in einer tieferen Gitarrenstimmung geschrieben und gespielt ist. Was den meisten übel aufstößt ist auch die offene Snare Drum, ein weiterer Faktor, der aber das Rohe und das Primitive aus diesem Album veranschaulicht. Ich verstehe jeden der das Album nicht mag, aber „Ich mag es nicht, weil es anders ist“ ist kein Argument. „St. Anger“ zeigt, was Metallica zu diesem Zeitpunkt sind und das macht diese Platte so besonders. Den Film im Übrigen auch.

 

Auf dieses Kreuzverhör war ich besonders gespannt, gerade weil ich nicht unbedingt zu den größten Metallica-Jüngern zähle, aber natürlich trotzdem die sagenumwobene Snaredrum von „St. Anger“ als vielumstrittenes Hassobjekt hitziger Diskussionen um den möglichen künstlerischen Niedergang der Thrash-Metal-Ikonen kenne. Das klangliche Endresultat erwischt mich nun nicht so apokalyptisch, wie es manch furioser Foren-User darstellen mag, dennoch bin ich vom gewagten Experiment des fehlenden Schnarrteppichs nur stellenweise angetan. Am besten funktioniert diese Ästhetik für mich immer dann, wenn die Band ihn als treibende Kraft der stringenten Songs auf „St. Anger“ verwenden. Als für Metallica-Verhältnisse ungewöhnlich rohes Album funktioniert die ebenso klirrend-kühle Drum-Ästhetik der Platte überraschend gut und erinnert vielleicht tatsächlich nicht ganz zufällig an die perkussiven Fässer von Slipknot, die zum Release dieser Platte gerade ihre Hochphase in der Gunst der begeisterten Nu-Metal-Teenies hatten. Das Getrommel von Lars Ulrich wirkt allerdings albern, wenn er es wie in der Eröffnung von „Dirty Window“ als schrecklich banales, isoliertes Drum-Intro verwendet. In diesem Moment wirkt diese klangliche Entscheidung – auch durch Ulrichs frappierend einseitige Performance – wie das Werk eines Kleinkindes, das zum ersten Mal entdeckt, dass man durch Klopfen auf Mülleimer laute Geräusche machen kann. Mein persönliches Resultat aus „St. Anger“ ist daher wieder einmal, dass wütende Online-Mobs nicht zwangsläufig nur aus blinden Trollen bestehen, die Welt aber gleichzeitig auch nie nur schwarz und weiß ist.

 

Klammert man die Aktion mit Lou Reed aus, ist „St. Anger“ das wohl am meisten diskutierte Metallica-Album aller Zeiten. Auch wenn ich im Jahr 2003 noch keinerlei Berührungspunkte mit Metal hatte, war die Platte einige Jahre später eine meiner ersten selbstgekauften CDs. Einzig und allein aus dem Grund, dass man im pubertierenden Alter mit einer Vorliebe für harte Musik einfach nicht keine Metallica CD haben kann, haben darf! Dachte ich... Dass dieses erste, eigene Album dann „St. Anger“ wurde, ist purer Zufall und wohl dem örtlichen Elektronikmarkt geschuldet. Da an Spotify noch nicht zu denken war und Youtube von den typischen „Nothing Else Matters“ oder „Master Of Puppets“ beherrscht wurde, war „St. Anger“ mein erster, tieferer Einstieg in die Materie Metallica. Daher kommt es, dass ich mich in jeder immer wieder aufkeimenden Diskussion über dieses Album klar auf der Pro-Seite positioniere. Die Platte hat mich eben begleitet damals. Ich akzeptiere und feiere sie trotz jeder Andersartigkeit genauso wie (fast! Reed!) jedes andere Album dieser Band mit Legendenstatus. Am meisten packen mich „St. Anger“ als Titeltrack und „Dirty Window“.  Zudem finde ich es richtig schade, dass es heutzutage und auch bereits im Jahr 2011, als ich die Jungs in Gelsenkirchen auf der Bühne erlebt habe, kein Song der Platte auch nur ansatzweise in die Setlist schafft. Bei der Masse an Hymnen der Band und Reaktionen auf das Album von außen wohl leider kein Wunder.

 

Metallica - heikles Thema. Ich gehe davon aus, dass jeder Rock-affine Mensch irgendwann in seinem Leben mal auf Metallica stand. Zumindest bei mir war das so, wobei ich „St. Anger“ erst ein paar Jahre nach Release gehört habe. Der 13-jährige Konstantin fand die Riffs und Beats schon ziemlich geil, besonders den Moment, wenn bei „St.Anger“ die Double-Bass einsetzt. Die Tracks „Dirty Window“ und „Invisible Kid“ habe ich im Sommerurlaub 2007 rauf und runter gehört und wollte das alles unbedingt auf der Gitarre lernen. Aus heutiger Sicht verstehe ich „St. Anger“ aber nicht mehr so richtig. Es wäre jetzt zu leicht, den lächerlichen Snare-Sound zu haten. Der ist sowieso so „speziell“, dass er mittlerweile zum Meme unter Musikern geworden ist. Nein, was ich nicht verstehe ist, wie eine Band wie Metallica ein so durch und durch schlecht klingendes Album raushauen konnte. 2003 erschienen folgende Platten: Muse - „Absolution“, Linkin Park - „Meteora“, Limp Bizkit - „Results May Vary“ und das Blink 182 self-titled Album. Es ist natürlich Geschmackssache, ob man die genannten Alben mag. Doch zumindest kann ich als jemand, der in seinem Leben selbst schon ein paar Platten gemischt hat, sagen, dass bei diesen Platten soundtechnisch saubere Arbeit geleistet wurde. Sie klingen heute noch mega. Dagegen hat „St. Anger“ echt weh getan. Gitarren, Gesang und Drums klingen ziemlich separiert voneinander, und wenn man ganz genau hinhört, kann man sogar einen Bass entdecken. Da hat Dave Grohl schon Besseres in seiner Garage aufgenommen! Soviel zum Sound der Platte. Über das Musikalische kann ich leider auch nicht in den höchsten Tönen sprechen. Es ist halt Metallica, das heißt Beats, die niemand außer Lars Ulrich so spielen würde und Riffs, die jeweils mindestens eine Minute etabliert werden müssen, bevor etwas Neues passieren darf. Und der Gesang - oder nennen wir es lieber „die Stimme“ - bleibt eher wegen der Rhythmik als wegen der Melodie im Ohr. Apropos Rhythmik: Eines muss man Metallica lassen, sie haben viele ikonische Soli auf ihren Platten. Jeder Gitarrist kennt das Solo zu „Nothing Else Matters“. Doch was war denn mit Kirk Hammet auf "St. Anger" los? Jedenfalls wissen wir jetzt, dass er sehr gut die Rhythmus-Gitarre doppeln kann. Metallica-Fans und Teenager, die gerade die Rock-Musik für sich entdecken, können sich "St. Anger" durchaus geben. Allen anderen empfehle ich den Metallica – "St. Anger" 2015 Studio Remix auf YouTube, oder einfach irgendeine andere Platte. Viel schlechter kann es wohl nicht mehr klingen. Schade, denn zumindest der nostalgische Teenager in mir hätte sich gefreut, wenn ich die Platte heute noch cool finden würde.