Kolumne

Euer und unser Album des Jahres 2021!

Wie schon im letzten Jahr haben wir nicht nur unsere ganz persönlichen Jahresrückblicke geschrieben, sondern auch zusammen über die Perlen von 2021 abgestimmt. Auch ihr habt euch entschieden – und wart anderer Meinung als wir!

Redaktionsalbum des Jahres: Danger Dan – „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“

Bis auf unseren hauseigenen Antilopen-Gang-Ultra Paula hatte in unseren Jahresrückblicken niemand das neue Soloerzeugnis von Danger Dan als sein Lieblingsalbum 2021 gekürt, im gemeinsamen Konsensvergleich hat „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ aber alles hinter sich gelassen. Das ist ehrlich gesagt auch kein Wunder, denn schon lange gab es keine Platte mehr, die sich über ihr Erscheinen hinweg so derartig selbstbewusst für einen Platz im ewigen deutschen Pop-Kanon angeboten hat wie diese hier. Wohlmöglich ist „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ gar das wichtigste deutsche Pop-Album seit Peter Fox‘ „Stadtaffe“ – ein Hip-Pop-Klassiker, der sich bis heute in so gut wie jeder noch so kleinen CD-Sammlung der Generation-Y-Sammler*innen befindet und der tatsächlich eine ganz ähnliche Story wie das neueste von Danger Dan aufweist. Ein Mitglied einer sehr erfolgreichen Rap-Gruppe veröffentlicht ein Solo-Erzeugnis, weist damit ästhetisch in eine völlig andere Richtung und wartet mit einem sehr analogen Instrumentarium auf, das sich 2021 noch stärker einem immer elektronischeren Zeitgeist widersetzt. Gleichzeitig spürt man aber eben auch, was in den 13 Jahren passiert ist, die zwischen Peter Fox und Danger Dan liegen. „Stadtaffe“ hatte sich zwar auch über die Zustände eines missratenen Berlins und eines immer schnelleren Zeitgeists abgefuckt, aber aus diesen Momenten stets auch einen unbändigen Mut zum Aufbruch gezogen. Das bewies kaum etwas besser als der Opener „Alles neu“, der über einem Orchester-Sample des russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch das Abwerfen aller Altlasten beschwor. Wenn Danger Dan aber das Credo „Lauf davon“ empfiehlt, dann klingt er eher resigniert und gebeutelt von einer Zeit, in der der Terror von außen nicht mehr zu Tatendrang führt, sondern nur noch zur Kraftlosigkeit. Es ist bezeichnend, dass „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ eigentlich nur von einem einzelnen Klavier begleitet wird und sich so eher reduziert als machtvoll in den Vordergrund stellt. Letzteres kann Danger Dan aber vor allem mit seinen Worten, mit denen er gerade im Titeltrack einen der schärfsten Kommentare zum aktuellen Welt- und Kunstgeschehen abliefert. Man muss mit Superlativen wirklich vorsichtig sein – aber diese Platte dürfte ihren Teil als eines der wichtigsten Alben deutscher Popkultur aller Zeiten schon sicher haben.

Danger Dan Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt
9.1

Danger Dan und "Das ist Alles von der Kunstfreiheit gedeckt": Ironische Melancholie

Danger Dan bewegt sich auf seiner neuen Platte an der Grenze zwischen Kunstfreiheit und völliger Absurdität. Während er sein Keyboard vor Wut in tausend Teile zerlegt, singt er über Polizeigewalt, das Schulsystem und was ihn sonst noch vor Wut so erstrahlen lässt.

Leser*innenalbum des Jahres: Devil May Care – „Divine Tragedy“

Auf Instagram haben wir auch unsere Leser*innen über ihr Album des Jahres abstimmen lassen und haben dort mit äußerster Knappheit ein anderes Ergebnis erhalten als innerhalb der Redaktion. Danger Dans Platte ist bei euch auf Platz 2, noch besser gefallen hat euch Devil May Cares „Divine Tragedy“ – auch ihr habt euch also für ein Album aus dem deutschsprachigen Raum entschieden. Metalcore gehört seit Jahren zu den letzten wirklich florierenden Genres in der Rockmusik. Gitarrenmusik scheint ihre besten Tage lange hinter sich zu haben, nur diese spezielle Unterabteilung hat seit Jahren immer noch eine verdammt aktive Jugendkultur, die sich über die Zeit ihres Bestehens viele auszeichnende Grundsätze angeeignet hat. Eine Platte wie „Divine Tragedy“ ist dabei ein Resümee all dieser Entwicklungen, die es in diesem Jahr selten so pointiert gab. Das beginnt bei der Musik, hört aber längst nicht dort auf. Devil May Care vereinen auf ihrer Platte zum Beispiel verdammt viele Features, die einerseits zu den ganz Großen der Szene gehören (Rising Insane, Venues, Like Pacific) und anderseits auch einen Act wie Sperling einschließen, der zum Genre Metalcore nicht unbedingt viel zu sagen hat, aber unter Kenner*innen alternativer Gitarrenmusik trotzdem ebenso zu den ganz großen Sensationen des Jahres gehörte. Und dann sprechen Devil May Care noch mit derartig viel Spektrum über unterschiedlichste Bereiche mentaler Gesundheit. Ein Themenfeld, das im Metalcore-Kanon der letzten Jahre immer wichtiger geworden ist – vielleicht auch, weil sich psychische Abgründe über kaum einen Sound besser ausdrücken lassen als über die frustrierten Schreie des Core-Genres. Die Band hat sich zur Strukturierung ihrer Songs sogar an „Dantes Inferno“ orientiert – eine ungewöhnliche Inspirationsquelle, die aber auch eher auf einer abstrakten Ebene funktioniert und so kapitelweise verschiedene Stationen menschlicher Destruktion aufzeigt. Persönlicher und politischer Zerfall finden so auf „Divine Tragedy“ eine maßgebliche Dramaturgie, die noch deutlich verzweifelter klingt als im Redaktionsalbum des Jahres. Aber es ist genau diese Art der emotionalen Kanalisierung, die Metalcore in den letzten Jahren so groß gemacht hat – und die die aktuelle Platte von Devil May Care zu einem so wichtigen Beitrag des aktuellen Zeitgeists macht.