Reviews

Russkaja und „No One Is Illegal“: Kritische Botschaften

Sind Russkaja in der allgemeinen Wahrnehmung eher ein Begriff für quirligen Leichtsinn und Beschallung im Nachmittagsprogramm der hiesigen Festivals, denn für klare Kante und Gesellschaftskritik, so könnte sich dies mit „No One Is Illegal“ ändern. Doch wie viel mehr als „Nastrovje“ haben die Österreicher tatsächlich zu geben? Und können Sie ihrer Rolle als sympathische Trunkenbolde entwachsen?

Russkaja treten für positiven, vor allem aber konstruktiven Protest ein. Somit sind sie näher an den Hippies der 1960er Jahre, als an der rund zwei Jahrzehnte später populären Punkszene. Zerbrochene Schaufenstergläser, brennende Mülltonnen und wüstes Auftreten harmonieren schließlich nicht mit dem schrittweise aufgebauten Image der Fan-Lieblinge Österreichs. Die zahlreichen TV-Auftritte als Haus-und-Hof Kapelle des ORF fordern jedoch ihren Tribut.

Niemand erwartet musikalische Anarchie, doch ein wenig mehr Mut als auf „Druschba“ dürfte es dann schon sein. Die Unzähmbarkeit ist Geschichte. Eine Geschichte, die in einer Mixtur aus Querbeat und Höhner aufgeht und jeden Karnevalsumzug bestens flankieren würde. „Give It All Away“ befeuert die Bierzeltlaune auf ein Neues und schunkelt sich zu einem verdächtig eingängigen Refrain empor. Die Halbwertszeit dürfte nicht allzu groß sein. Einen Mangel an Abwechslung kann man „No One Is Illegal“ derweil keineswegs attestieren – zwischen gefälligem Pop-Rock („Otests“) im Stadionformat und sommerlichen Tracks für das Cabrio („Dance Your Tears Away“) bleibt gar noch etwas Platz für eine Verbeugung vor den Beatles. „Love Revolution“ referenziert auf das große Vorbild „Love Is All You Need“, während es sich zunächst verdächtig wie Anime-Theme-Song anfühlt. Well done!

Obwohl keiner der bislang genannten Songs in der Tradition des bisherigen Schaffens manövriert, gelingt es der Truppe um Sänger Georgij Alexandrowitsch Makazaria ausnahmslos, Russkaja-Flair zu versprühen. Und mit „El Pueblo Unido“ oder „Here Is The News“ bietet man durchaus ein wenig gewohnte Kost. Nachhaltige Überzeugung strahlen ohnehin erst die politisch motivierten Apelle aus. Da wäre auf der einen Seite der mehrsprachig vertonte Titeltrack, welcher die träumerische Kernbotschaft kraftvoll groovend durch die Lautsprecher wabern lässt. Oder aber der „Kosmopolit“ als Kontrapol der weltweiten Mitte-Rechts-Strömungen. Die eingestreuten Kinderstimmen unterstreichen hier den Aufruf zum in Vergessenheit erscheinenden Multilateralismus - ganz im Sinne einer besseren Zukunft. Wo andernorts Mauern und Grenzzäune lediglich Symptome, nicht aber Ursachen globaler Fluchtbewegungen bekämpfen, fordert man mit „Break Down The Walls“ ein Ende von Abschottung und Einigelung. „Wild Birds“ oder „Born To Fly“ sind demnach nur logische Schlussfolgerungen, die den östereichischen Freigeistern spielend leicht von der Leber flattern.

 „No One Is Ilegal“ hievt Russkaja zweifellos auf ein höheres (Bekanntheits-)Level, schleift dabei jedoch mit gezielter Vehemenz die Ecken und Kanten glattrund. Die urkomische Schrägheit verblasst hinter normkonformem Auftreten und gedrosselter Energie. Dafür fallen die gesellschaftskritischen Botschaften in eine überaus turbulente Zeit, die Ihnen Aussagekraft und Nachdruck verleiht. Russkaja feuern lyrische Salven ab und verlernen letzten Endes auch nicht das obligatorische Zuprosten nach vollendeter Arbeit. Alles im Rahmen, alles in Ordnung.

Fazit

6.1
Wertung

Von der humoristischen Zirkuskapelle (Wacken Open Air 2013, irgendjemand?), deren Anliegen sich fortwährend zwischen Vodkakonsum und Rockklischees bewegten, ist nicht viel übrig. Schade, aber in Anbetracht von „No One Is Illegal“ auch kein Beinbruch.

Marco Kampe