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Mudhoney und „Digital Garbage“: Gefangen in der Gegenwart

Würden die Ramones noch immer als abgefahrene Punk-Revoluzzer betrachtet werden, wenn ihr Debüt im Jahr 2018 erschienen wäre? Eben.
Mudhoney Digital Garbage Cover

Mudhoney sind Veteranen in ihrem Geschäft, und das ist im Falle eines Albums wie „Digital Garbage“ sowohl Fluch als auch Segen. Natürlich ist es schön, dass Sub Pop in ihrem zunehmend vielfältigeren Künstler-Roster noch immer einige ganz alte Helden aus ihrer Gründungszeit unter Vertrag haben, und Mudhoney tragen als Mitetablierer des legendären „Seattle Sounds“ definitiv zur nostalgischen Komponente des Labels bei. Gleichzeitig gibt es aber auch einen Grund, warum sich das Unternehmen seine zeitgenössische Relevanz vor allem durch spannende Noise-Acts wie Metz oder jüngst Moaning erhält, denn diese funktionieren im aktuellen Kontext einfach besser. Natürlich lässt sich argumentieren, dass man die Wertigkeit von Alben grundsätzlich isoliert betrachten sollte, aber „Digital Garbage“ offenbart dafür leider zu deutlich, warum diese Lesart nicht immer Gültigkeit haben kann.

Denn die inhaltlichen und damit einhergehend auch musikalischen Intentionen hinter dieser Platte sind deutlich: Sie soll schön überdreht und schräg sein und mit dem Stilmittel des Humors eine sozialkritische Persiflage auf das aktuelle Weltgeschehen darstellen. Das belegen ein herrlich stumpfer und gerade deswegen irgendwie guter Songtitel wie „Hey Neanderfuck“, ein Track wie „Kill Yourself Live“, der im sarkastisch gut gelaunten Hammond-Orgel-Funk den Wahnwitz der Digitalisierung kommentiert oder der Ausruf „We’d rather die in church!“ aus „Please Mr. Gunman“, mit dem ein Nachrichtensprecher 2017 eine Schießerei in einer Kirche äußerst unpassend beschrieb. All diese Gedankengänge sind da und würden in der Theorie auch hervorragend funktionieren, scheitern aber zu oft an ihrer klanglichen Umsetzung.

Hier offenbart sich nämlich das gravierende Problem, das Mudhoney in der Gegenwart haben: In einer Zeit, in der der Sound von Grunge und Rock’n’Roll beinahe bis zum Maximum ausformuliert ist, wirkt ein Soundbild wie das von „Digital Garbage“ nicht mehr frisch, sondern konservativ. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, aber staubige Grunge-Gitarren und aufs Mindestmaß reduziertes Schlagzeug widersprechen eben gleichzeitig dem Ziel, eine überzeichnete Extravertiertheit darzustellen. Der einzige Zeitpunkt, in dem sich Humor und Musik wirklich kongruent begünstigen, ist die abschließende, anderthalbminütige Skatepunk-Reminiszenz „Oh Yeah“ – die stellt aber leider auch die am wenigsten tiefgründige Art von Witz dar, die Mudhoney auf ihrer zehnten Platte zu bieten haben. Die restlichen Songs lassen sich eher für ihre kluge Idee würdigen, als vollends im Gesamtklang auskosten. Im Resultat kann man „Digital Garbage“ daher für seine vielen guten Ansätze eigentlich nur loben – deren Zusammenspiel funktioniert allerdings nicht.

Fazit

5.9
Wertung

„Digital Garbage“ scheitert vor allem an der Zeit, in der es erschienen ist. Für ein Grunge-Album in 2018 ist die zehnte Mudhoney-Platte nicht mutig genug. Zum Glück ist ja gerade das fantastische neue Slothrust-Album erschienen.

Jakob Uhlig