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Mudhoney und „Plastic Eternity “: Alte, begabte Männer

Gemessen an ihrer heutigen Reichweite profitierten Mudhoney seinerzeit von der Grunge-Blütephase der 1990er Jahre. Einige Jahrzehnte und zahlreiche Veröffentlichungen später präsentiert das US-Quartett einen zum Stirnrunzeln anregenden Albumtitel mit einigen erfrischenden Songs fernab der ganz großen Bühnen.

Die Musikwelt legt, berechtigterweise, ein zunehmend helles Scheinwerferlicht auf ausgewogene Bandstrukturen. Nicht erst seit der Idee um Cock am Ring werden einseitig dominierte Line-Ups kritisch rezipiert, das Werben um Sichtbarkeit und Empowerment erreicht allmählich die Mitte der Gesellschaft. Gut! Am Beispiel von Mudhoney geht es nun allerdings, dieser Entwicklung ausnahmsweise entgegenstehend, um Veteranen der Musikwelt. Haudegen, die andere Legenden haben spielen sehen und die Nachwuchskräfte zu eigenen Gehversuchen inspirierten. Reden wir also von alten, weißen Männern? Ja, aber nein, nicht im herkömmlichen Sinne. Wir sprechen von alten, begabten Männern mit zukunftsgewandter, teils wütender Weltsicht und einer selbstbewussten Portion Mittelungsdrang.

An dieser Stelle seien einleitend „Flush the Fascists“ und „Plasticity“ benannt, welche neben aller Angriffslust auch ein wenig Raum für weiterführende Interpretationen übriglassen. Ersterer ist dabei ein Statement gegen die weltweit feststellbaren, rechtsnationalen Tendenzen. Dieses Statement lebt standesgemäß von Wut, Aggression und Tempo. Mudhoney bereichern die Sammlung der Protestsongs um einen groovenden Rausschmeißer. Vergleichbare Merkmale zeigen das offenbar auf frühe Motörhead-Einflüsse zurückgehende „Here Comes The Flood“ oder das zermalmende „Human Stock Capital“, in dem die erhobene Faust des Punk mit dem Schmutz des frühen Rock´n´Roll erfolgreich gekreuzt werden.

Jene Direktheit steht in einem angenehmen Mischverhältnis zu komplexeren Strukturen und umfangreicheren Tracklaufzeiten. „Souvenir of My Trip“ wartet mit transzendenten, experimentellen Klängen auf, „Almost Everything“ versprüht hingegen einen Hauch Funk und schielt in Richtung südamerikanischer Stilmittel. Mudhoney gehen zeitweise behäbiger zu Werke („Severed Dreams In The Sleeper Cell“), büßen dabei allerdings nicht an Kredibilität („Cascades Of Crap“) ein. „One or Two“ oder „Little Dogs“ mögen als Füllmaterial erscheinen, trüben gleichwohl den rundherum guten Gesamteindruck nur unwesentlich.

Sieht man abschließend freimütig darüber hinweg, dass Grunge nicht durch atemberaubende Gesangsleistungen Berühmtheit erlangte, so offenbart sich mit „Plastic Eternity“ eine starke Rock-Platte.

Fazit

7.5
Wertung

Zu Unrecht fristen Mudhoney ein Nischendasein für die Geschicke des neuzeitlichen Rock´n´Roll. Sie wären eine Bereicherung für die immergleichen, angestaubten Festival-Line-Ups - trotz oder gerade wegen ihres Werdegangs.

Marco Kampe