Reviews

AnnenMayKantereit und „Schlagschatten“: Von allem zu viel

Mit „Schlagschatten“ veröffentlichen AnnenMayKantereit ihr zweites Album. Nachdem „Alles nix Konkretes“ 2016 schon durch die Decke ging, sind die Erwartungen an die vier Musiker nun besonders hoch.

Die Mitglieder von AnnenMayKantereit sind nun selbst keine 21, 22, 23 mehr und das merkt man ihnen auch an. Im vorab veröffentlichten „Ich geh heut nicht mehr tanzen“ strotzen sie dem Weggeh-Zwang und singen eine Ode an das entspannte Zuhause-Bleiben. Dass der Song zeitweise trotzdem extrem tanzbar klingt und mit schmissigen Bass daherkommt, zeugt von der immensen Vielschichtigkeit des neuen Albums. Die vier Kölner sind ein stückweit erwachsen geworden und verpassen ihrem eigentümlichen Sound auf „Schlagschatten“ einen neuen Anstrich, ohne sich zu sehr von ihrem Ursprung abzuwenden. Der liegt auch nicht allzu weit entfernt, blickt man auf die junge und dafür umso steilere Karriere der einstigen Straßenmusiker zurück. Nach ihrem schwindelerregenden Aufstieg an die Chartspitze, in ausverkaufte Hallen und auf die Bühnen der ganz großen Festivals, haben sie sich für die Arbeit an „Schlagschatten“ für vier Wochen in ein kleines spanisches Dorf zurückgezogen – der ideale Ort, um den erlebten Höhenflug zu verarbeiten. In „Schon Krass“ erzählen sie ehrlich und unaufgeregt davon, wie der Erfolg und die damit einhergehenden Verlockungen dem eigenen Ich zusetzen können. Songs wie „Hinter klugen Sätzen“, „Sieben Jahre“ und „Weiße Wand“ erzeugen eine ähnliche Stimmung. Der Text wird ruhig und bedacht vorgetragen, während die Instrumentals irgendwo zwischen Melancholie und Resignation changieren. „Weiße Wand“ transportiert zudem eine politische Haltung, die uns den eigenen privilegierten Status bewusst macht und sich klar gegen Fremdenhass, Sexismus und die Unterdrückung von Minderheiten ausspricht. Auch musikalisch zeugt der Titel von Tiefe, trotz oder gerade wegen der starken Reduzierung aufs Wesentliche. Ein einsames Schlagzeug wird von wehenden Gitarrenfetzen umspielt, während Henning May abgeschlagen und doch abgeklärt den widrigen Zustand der Gesellschaft zusammenfasst.

„Alle Fragen“ gibt Mays Stimme wieder jede Menge Raum und wird durch einen unglaublich geschmeidigen Bass und Lyrics, die mitten ins Schwarze treffen, komplementiert. Generell bedienen AnnenMayKantereit unheimlich viele Stimmungen auf ihrem Album. Mit „Jenny Jenny“ liefern sie einen eher schwachen, dafür humoristisch-leichten Song, „Marie“ klingt ganz nach dem altbewährten AMK-Erfolgsrezept und mit „Nur wegen dir“ produzieren sie einen strahlenden Liebes-Song, dessen Kopfstimme einen beinahe automatisch in andere Sphären trägt.

Klingt alles in allem ziemlich gut, aber dennoch bleibt das Hörerlebnis ein stückweit unbefriedigend. AnnenMayKantereit spielen mit ihrem eigenen Sound, entwickeln sich deutlich weiter, sind experimentell, wagen kurze Ausflüge in verschiedene Genres und verarbeiten pointiert sogar elektronische Klänge. Dadurch wirkt das Gesamtkunstwerk jedoch überladen und wenig konzeptuell. Vielleicht ist dieses Ausloten der eigenen Grenzen in jede denkbare Richtung nötig, um den eigenen Sound neu zu finden und auszubauen. Doch auch angesichts der langen Spieldauer von „Schlagschatten“ hätte diese musikalische Odyssee vielleicht besser auf akzentuierten EPs stattgefunden. Sicher ist schon jetzt, dass das dritte Album wohl richtungsweisend sein wird.

Fazit

7
Wertung

„Schlagschatten“ dokumentiert die Entwicklung der Band eindrücklich und verhandelt daher verschiedene Stimmungen, Genres und Themen. Wem das alles ein wenig zu viel auf einmal ist, dem geht es genau wie mir. Dennoch gibt es durchaus starke Momente, die dem Album zu seiner Daseinsberechtigung verhelfen.

Sarah Ebert
6.2
Wertung

Schlagschatten klingt, als würden bei der Garnierung der Schwarzwälder Kirschtorte die Kirschen ausgehen. Der optische Mangel beeinflusst den Geschmack zwar nur marginal, doch lässt er keine umfängliche Zufriedenheit aufkommen. Trotz jener Stücke, für die noch eine Kirsche übrig war und die unter dem Gesamteindruck umso positiver dastehen.

Marco Kampe