Versucht man jenen trübenden Kontext auszublenden, ist das groß angelegte Projekt um die „Finsterwacht“ stimmig. Langjährige Freund*innen aus der Musikwelt sind als Features an Bord, renommierte Autor*innen unterstützen die Band bei der Textarbeit und die bereits präsentierten Musikvideos binden die aktive Fan-/Cosplay-Szene aktiv ein. Ein neunminütiges (!), zunächst mittels intensiver Erzählstimme vorgetragenes Intro ist in Zeiten kürzer werdender Aufmerksamkeitsspannen mutig, wenn auch im weiteren Songverlauf nicht optimal abgemischt. Sei es drum, Hansi Kürsch und Alea brillieren mitsamt dessen Band, welche alle erfolgreichen Trademarks dieses Genres gekonnt auf den Punkt bringt. Die Erfahrung von zwölf zurückliegenden Alben ist ein Pfund. Ebenso gelungen sind das englischsprachige, zwischen modernem Stadion und antiken Erzminen umherwandernde „Carry Me“ beziehungsweise der „Grimwulf“ als orchestrales Interlude ausgefallen. „Vogelfrei“ setzt bei den Bandklassikern an und bringt Mittelalter und Rock in Perfektion zusammen. So sollten Saltatio Mortis im Jahr 2024 klingen. Diesen Liedern (mitsamt dem leicht kitschigen „Schwarzer Strand“) ist eine Schwere gemein, die im Folgenden abrupt in das Gegenteil verkehrt wird. Ob das gutgehen kann?
Nun, den Spielmannsschwur in allen Ehren, aber könnten unreflektierte Alkoholexzesse („Genug getrunken“) oder halbgare Sexgeschichten („Aurelia“) nicht langsam der Vergangenheit angehören? Bands wie Versengold oder die sagenumwobenen Mr. Hurley & die Pulveraffen beackern diese Themen bereits zur Genüge und auf ihre jeweils ganz eigene Art bedauerlicherweise mit mehr Glaubwürdigkeit. Man könnte vom ökonomischen Begriff der Marktsättigung sprechen, man könnte es aber auch einfach peinlich nennen. Während ebendieser krampfhafte Frohsinn nicht recht zu überzeugen vermag, sind auch die groß (tendenziell zu groß) angelegten Songs „Feuer und Erz“ und „Oh treues Herz“ nicht in der Erfolgsspur. Die dargebotene Theatralik mäht das Aufkommen von Gefühl erbarmungslos nieder. Die Texte verlieren sich im Bombast der Instrumentalisierung.
Hörstatus: Es ist kompliziert - zumal „Der Himmel muss warten“ dezent in Richtung In Extremos neuzeitlichem (Live-)Klassiker „Pikse Palve“ schielt und sich dahinter keinesfalls verstecken muss. Ein willkommenes Gegengewicht gegenüber dem zuvor benannten Stumpfsinn der hiesigen Bierzelte.
Komplexe, scharf vorgetragene Metal-Strukturen treffen in der Rückbetrachtung auf freudig verklärende Mittelalter-Schunkelei. Ein Fantasy-Epos räumt Spielzeit für billige Trinklieder ein. Die Prager Philharmoniker bieten den Rahmen für Pathos und Märtyrertum. Das klingt nach einer wilden Mischung? Die ist es auch, selbst wenn Saltatio Mortis dieses Mal auf explizit politische Inhalte verzichten und man ihr Engagement höchstens im Subtext erahnen kann. Der aufgebrachte Mut zahlt sich leider nicht aus, dafür fallen die vereinzelten Tiefflieger zu stark ins Gewicht.