Im Kreuzverhör

Im Kreuzverhör #29: Culturcide - "Tacky Souvenirs Of Pre-Revolutionary America"

Einmal monatlich stellt sich die Redaktion gemeinsam Platten außerhalb ihrer Komfortzone. Dieses Mal wirft Steffen "Tacky Souvenirs Of Pre-Revolutionary America" von Culturcide in den Ring.

In den frühen 2010er-Jahren waren Songparodien ein beliebtes humoristisches Genre auf YouTube: Dabei wurden die Texte aktueller Popsongs umgedichtet und mit Popkulturreferenzen, Fäkalhumor oder im Idealfall beidem ergänzt. So wurde aus „Gangnam Style“ in Anspielung auf Der Herr der Ringe „Gandalf Style“. Doch die Idee ist nicht ganz neu und kann auch viel weniger harmlos daherkommen: 1986 erschien mit „Tacky Souvenirs Of Pre-Revolutionary America“ eine LP voll mit Parodien auf die Charthits der Zeit. Aber hier geht es nicht (nur) um pubertäre Witze auf Kosten erfolgreicher Künstler, sondern Culturcide sind auch ordentlich angepisst von der saturierten Musikindustrie. Das macht schon der Bandname klar, ein Kofferwort aus den Begriffen Culture (Kultur) und Homicide (Tötung). Im ersten Track, der Nationalhymne „Star-Spangled Banner“, erklären Culturcide direkt, dass das selbstgefällige, neu-neoliberale Amerika unter Ronald Reagan für sie „a big nauseating screaming nightmare“ (ein großer ekelerregender, furchtbarer Alptraum) sei. Es folgen über eine Dreiviertelstunde mit Störgeräuschen und schiefem Gesang verfremdete Popsongs, von Bruce Springsteens „Dancing In The Dark“ über „Putting on the Ritz“ bis zu den Beach Boys. Das ist am Anfang durchaus amüsant, irgendwann aber vor allem anstrengend. Mein persönliches Highlight stellt „They Aren’t The World“ dar, eine zynische Abrechnung mit den Verhältnissen, die für Welthunger und Charity-Singles verantwortlich sind. Mit einer Auflage von 1000 Stück im Eigenvertrieb erschienen, ist die Platte mittlerweile vor allem ein tacky souvenir einer „Epoche der radikalen und konsequenten Unversöhnlichkeit von Mainstream und Underground“. So schreibt es Ingo Rüdiger im großartigen Punk-Rock-Geschichten-Band „Damaged Goods“, ohne dass ich nie im Leben auf dieses Album gestoßen wäre.
Und anstatt mich auf die beschwerliche Suche nach einer Kopie der LP zu machen, kann ich das Album ganz bequem auf YouTube hören. Wie bei „Gandalf Style“ werden mir dabei in der Videobeschreibung automatisch die Originalversionen der parodierten Songs verlinkt.

Irgendwann sollte der Tag kommen, an dem ein für das Kreuzverhör auserkorene Album meinen auch oft ziemlich speziellen Geschmack trifft. Oder zumindest meinen Horizont erweitert, in dem ich mal wieder auf etwas Unbekanntes stoße, was sich dann bei mir etablieren kann. Diese Gedanken motivieren mich immer wieder dazu, an diesem wundervollen Format teilzunehmen. Leider hat auch „Tacky Souvenirs of Pre-Revolutionary America“ diese Ansprüche kilometerweit verfehlt. Es handelt sich hier um ein 48 Minuten dauerndes Album, auf dem Culturcide ohne Erlaubnis (immerhin das ist Punk!) Klassiker der Musikgeschichte abspielen und ihre eigenen Interpretationen der Lyrics drüber singen. Das ganze wurde vor über 30 Jahren mit einem Vierspurrekorder aufgenommen. Ich sitze hier und starre über die gesamte Laufzeit das Cover der Platte an. Auf meinem Gesicht liegt ein ziemlich skeptischer Ausdruck. Zugegebenermaßen finde ich das Konzept lustig, aber gleichzeitig anstrengend. Was Steffen hier aus dem Jahr 1986 ausgegraben hat, lässt mich im Jahr 2020 etwas verstört zurück. Aber es gibt ja bekanntlich nichts, was es nicht gibt. Ohne dieses „Kunstwerk“ geschichtlich korrekt einordnen zu können: Es kann natürlich sein, dass das damals der ganz heiße Scheiß war. Laut Wikipedia ist das Album immerhin das „bekannteste Werk“ der Band. Mit dieser Erkenntnis schlage ich das Kapitel Culturcide für mich persönlich aber wieder zu.

“Wenn ich doch nur wüsste, dass ich durch das illegale Downloaden von Filmen die Entertainment-Industrie zerschlagen könnte. Ich würde ziehen ohne Ende.” Dieses Zitat von Autor und Satiriker Marc-Uwe Kling beschreibt wahrscheinlich ungefähr die Attitüde, die Culturcide — übrigens ein Mega-Name! — vertreten. "Home-taping is killing the record industry, so keep doing it." Zugegeben: Die Idee, Klassiker der amerikanischen Musikgeschichte auf möglichst bizarre Weise zu covern, zu persiflieren und dem Ganzen gleich noch eine unangenehm hochkonzentrierte Dosis der eigenen Fuck-You-Haltung aufzudrücken, ist schon ziemlich genial. Ob ich mir “Tacky Souvenirs Of Pre-Revolutionary America” aber zur abendlichen Zerstreuung reinfahren würde, darauf möchte ich mich dann an dieser Stelle doch nicht festlegen. Ich konnte aber nicht umhin, bei fast jedem Lied an der einen oder anderen Stelle laut aufzulachen. Speziell die “Interpretation” von ”We Are The World” ist einen Anspieler mehr als wert. Selten hat sich der Satz “was für eine abgefuckte Scheiße” so positiv in einem Musikerzeugnis manifestiert wie hier. Beim Anhören von “Tacky Souvenirs Of Pre-Revolutionary America” stellt sich das Gefühl ein, wenn South Park Musik wäre, dann wäre es Culturcide-Musik.