Reviews

OK Kid und „Sensation“: Abzüge in der B-Note

OK Kid versuchen es auf „Sensation“ mit Deutschpop mit Haltung. Und siehe da, das ist fantastisch, zumindest fast.

Das Warten auf das neue Album kann ganz verschieden ablaufen. Manchmal weiß man von vornherein, was auf einen zukommt - Grüße an Danko Jones, da weiß man was man bekommt und es ist immer großartig. Oder aber der Künstler probiert die eigenen Grenzen aus. Fans von Deaf Havana können wohl ein Lied davon singen. Was konnte man denn nun vom dritten OK-Kid-Album erwarten? Irgendwie war ja schon viel dabei, vom Anti-Nazi Aufschrei bis hin zur Trendhymne. Und was soll man sagen, es ist irgendwie wieder alles dabei.

Den Start macht „Lügenhits“. Was nach Pöbelei gegen rechte Verschwörungstheoretiker klingt, ist in Wahrheit eine Aneinanderreihung von Zitaten aus einem halben Jahrhundert deutscher Pop- und Rockgeschichte, doch zumeist Popgeschichte. Die Beatauswahl ist vortrefflich gelungen, denn nichts wäre für diese Reise passender als Synthie-Pop, der auch aus der Feder beziehungsweise aus den Boards von Kraftwerk stammen könnte. Das ganze eingefasst in den OK-Kid-typischen Mix aus Rap und Pop, das macht einfach schon Spaß und lädt einen ein, weiterzuhören. In „Hinterher“ müssen OK Kid einen Ghostwriter gehabt haben, denn das könnte beinahe komplett von Alligatoah getextet worden sein. Witzige und intelligente Doppeldeutigkeiten, nur vielleicht doch etwas zu tiefgründig für den Langener Rapper. Und wenn man schon beim Klauen ist, die Zeile "Wie schwer wiegt ein Wort, wenn man es hält?", hat die nicht Herbert Grönemeyer mal gesungen? Wenn nicht, kommt das ja möglicherweise noch.

„Heimatschänke“ präsentiert wiedermal die Vielseitigkeit von OK KID, denn ihre Worte werden dieses Mal in ein Motown-Funk Kleid gehüllt. Dieser Ausbruch aus der Norm überschattet den Text beinahe, aber der lässt sich mit „Am Ende führt die Sauferei zwar zu nichts, aber nichts ist ja auch was“ zusammenfassen. Die Begleitung zu „1996“ erinnert ein wenig an 90er-Pop, doch man kommt gar nicht dazu, diese Assoziation weiter zu denken, denn der Text über die Pubertät ist viel zu plastisch und real, als dass man sich dann noch mit so etwas banalem wie der Hintergrundmusik beschäftigen könnte. So war es damals, wird sich der ein oder andere mit Sicherheit sagen. Das ist einfach stark.

Was da hingegen „Wolke“ sagen möchte ist gar nicht so einfach zu beantworten und lässt viel Platz für Interpretationen. Verschwörungstheoretiker? Generalisierte Angststörungen? Der Künstler weiß es, der Hörer muss sich seinen Teil denken. Spannend ist es allemal. Was folgt ist dann eher aus der Kategorie „Zu vernachlässigen“. „Sensation“ und „Reparieren“ haben nicht wirklich was zu erzählen und langweilen mehr, als dass sie unterhalten. Aber weiter hören lohnt sich, denn „Warten auf den starken Mann“ trifft den Nagel auf den Kopf. Die Ängste der besorgten Bürger heruntergebrochen auf vier Minuten, die sich in den feuchten Traum eines jeden Vaterlandmarschierers verwandeln. Ein lauter Schrei nach Liebe? OK Kid jedenfalls muss man dafür lieben, denn das ist brillant, nicht weniger.

„Sensation“ ist als Album wahnsinnig unterhaltsam. Der dazugehörige Titeltrack ist einer der wenigen Songs, die auf dem Album geduldet , aber nicht wirklich gebraucht werden. Aber dafür kann man ja skippen. Denn ansonsten sind die Rap/Pop-Songs mit unterlegten Retrosounds ziemlich spannend und machen verdammt viel Spaß. So klingt also Deutschpop mit Rückgrat.

Fazit

7.2
Wertung

Wie gerne würde ich hier eine Monster-Wertung verteilen, aber die paar inhaltlichen Ausrutscher können einfach nicht unbeachtet bleiben. Aber ansonsten bin ich sehr verliebt.

Moritz Zelkowicz
5
Wertung

Der Anspruch des Pop-Rap-Kollektivs, in Zeiten von erfolgreicher Glätte Haltung zu bewahren, in allen Ehren – Ok Kid spielen auf "Sensation" aber die gleichen Lifestyle-Lyrics ihrer zwei ersten Alben auf zugegeben gelungenen Instrumentals runter, die am Ende des Tages aber den Deutschpop nicht mehr nennenswert verändern werden.

Julius Krämer