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OK Kid und “Drei”: The Great Leap Backwards

Nicht nur im Albumtitel wird ersichtlich, dass OK Kid mit ihrem neuen Album den geistigen Nachfolger und somit Trilogievollender zu “OK Kid” und “Zwei” ansteuern. Aber kann man die sechs vergangenen Jahre einfach so ausklammern?

Die mittlerweile aus drei Musikern und Wahlkölnern bestehende Band OK Kid hat mit ihren ersten beiden Alben einen Nerv getroffen. Irgendwo im Netz aus politischer Haltung, genug Pop-Appeal, um auch mal auf der einen oder anderen Party zu laufen, aber auch genug Feinheiten und Tiefgang, um auch nerdigere Musikkonsument:innen bei der Stange zu halten. Im Jahr 2018 folgte dann mit “Sensation” eine Entwicklung hinein in die Major-Pop-Schiene, deren Ansätze sich schon vorher in der Musik der Band wiederfanden, hier aber um ein Vielfaches aufpoliert wurden. Die Platte kam bei eingefleischten Fans und auch Kritiker:innen eher mäßig gut an. Ein Jahr später folgte die introspektive DIY-Veröffentlichung “Woodkids”, auf der die Band kreativ so frei drehte wie bisher noch nie. Kaum Konzept, dafür umso unverfrorenere Ausflüge und Ideen. Sowohl musikalisch als auch erzählerisch hatten sich OK Kid mit “Woodkids” eigentlich komplett freigespielt. Mit “DREI” folgt nun aber die offensichtliche Rückkehr in heimische Gewässer.

Auch wenn “Drei” wohl als direkter Nachfolger von “Zwei” intendiert ist, kann die Platte die Vergangenheit der Band nicht verleugnen. Das gilt sowohl für “Sensation” als auch für “Woodkids”. Produktion und Klangästhetik nähern sich dabei eher dem ersteren der beiden Platten an, alles klingt sehr crisp und clean. Was dabei auf "Sensation" aber oft in einer gewissen Kälte der Instrumentals mündete, wird auf dem neuen Album meist vermieden. Von den teils haarscharf am Cringe vorbeischrammenden Deutschpop-Allüren bleibt auf “Drei” zum Glück fast nichts übrig. Lediglich ab und an kommen bei Songs wie “Es regnet Hirn” seichte Singsang-Passagen zum Vorschein, die auch Lokalradiohörer:innen nicht aus der Heimfahrttrance reißen würden.

Die gelungenste Anknüpfung an die ersten beiden Alben der Band gelingt OK Kid mit “Cold Brew”, dem vierten Teil der “Kaffee Warm”-Reihe, in der Sänger Jonas eine vergangene Beziehung nun schon über neun Jahre und drei Alben hinweg anhand der Metapher des beliebten Heißgetränks reflektiert. Dieser vierte Teil verknüpft auf kluge Weise die Erzählungen der Vorgänger, bietet aber trotzdem genug Platz für einige neue Ideen. So funktioniert das mit dem Wiederanschluss doch ganz gut.

OK Kid unternehmen auf “Drei” mehr als einmal musikalische Ausflüge in deutlich härtere Gefilde. Der Album-Opener mündet beispielsweise in einem aufbrausenden Post-Hardcore-Fanal mit Streichern, wie man es sonst eher von Casper kennt. Der Song, der schon Anfang 2021 veröffentlicht wurde, steht mit seinem leicht pathetischen Weltschmerz in der Tradition von Tracks wie “Gute Menschen”. Viel Anprangern, viel Frust. Was “Frühling Winter” auf der Makro-Ebene an Polittalk ablässt, gelingt “Hausboot am See” auf deutlich subtilere Weise. Wie auf “Woodkids” lässt Jonas die Zuhörenden hier an einer persönlichen Erfahrung teilhaben. Auf einem gemeinsamen Ausflug muss er feststellen, dass die alten Freunde von damals sich ideologisch mittlerweile relativ weit von den Einstellungen des linksliberalen Musikers entfernt haben.

Der Song ist vor Allem deshalb besonders, weil Jonas hier wie selten außerhalb von “Woodkids” für sich selbst und völlig ungefiltert spricht. Das sorgt für eine rohe Emotionalität, die kaum ein anderer Track auf dem Album erreichen kann. Die Texte kommen in gewohnter OK-Kid-Manier ordentlich verklausuliert und gespickt von mal mehr und mal weniger cleverer Wortakrobatik. Eine erfreuliche Neuerung ist der viel variablere Einsatz von Jonas’ Stimme, die sich auch mal in verzerrte Brüche vorwagt und Songs wie “Mr. Mary Poppins” mehr Unmittelbarkeit und Imperfektion verleiht.

Ob “Drei” jetzt ein würdiger Abschluss einer unterbrochenen Trilogie ist, muss die Zeit zeigen. Eine gelungene Zusammenführung aus den alten Stärken der Band ist es allemal, auch wenn einige der Songs sich hin und wieder einen kleinen Schritt zu weit in Richtung Radiogleichförmigkeit bewegen.

Fazit

6.7
Wertung

OK Kid synthetisieren die Eingängigkeiten von “Sensation” und das direktere Songwriting von “Woodkids” zu einem durchaus gelungenen Nachfolger für die ersten beiden Alben. Dabei schaffen es aber Teile der Tracklist bisweilen nicht, sich einen vordergründigen Platz in meinem Bewusstsein zu erspielen. Dafür bietet die Platte aber auch einige der besten Songs der Banddiskographie.

Kai Weingärtner