The National und „Sleep Well Beast“: Anmutige Elegie
27.12.2017 | Sarah Ebert
Stille. Lautstärkeregler hochdrehen. Leises Knacken, Pfeifen, herüberwehende Klänge, die irritieren. Dann setzt das Klavier ein, um ein Vielfaches lauter, als du beabsichtigt hattest. Aber du änderst nichts an der Lautstärke – und während du noch deine Gänsehaut bestaunst, setzt Matt Berningers schwermütiger und erhabener Gesang ein und zieht dich vollends in den Bann der Musik.
Dass Stille zuweilen elektrisierender als ein lauter Knall sein kann, beweisen The National bereits während der ersten 30 Sekunden des Openers „Nobody Else Will Be There“ eindrucksvoll. Ihr aktuelles Studioalbum strotzt geradezu vor Experimentierfreudigkeit, durchdachten Arrangements und sonderbaren Klängen und erzeugt solch eine atmosphärische Dichte, dass es unmöglich wird, alle Ebenen beim ersten Hören zu durchdringen. Ausgefeilte (und für The National ungewohnte) Gitarren-Soli, Bläser, Streicher, Tasteninstrumente, elektronische Elemente und Loop-Parts werden dezent in die Musik eingeflochten, ohne aufdringlich zu wirken. Anstatt die Aufmerksamkeit vollkommen an sich zu reißen, fügen sie sich in ein harmonisches Gesamtbild ein, das dadurch unheimlich detailverliebt und nahezu perfekt arrangiert klingt. Schon die Länge der einzelnen Titel deutet auf das kreative Potential der Songs hin, die durchschnittlich vier Minuten lang anhalten.
Inhaltlich besingt Berninger Konfusion, Angst, Veränderungen, Resignation und letztlich auch das Überwinden solcher Zustände. Verkopfte und kryptische Textzeilen halten sich mit ungewohnt klaren und direkten Aussagen die Waage und lassen so genügend Raum für die eigene Gedankenverlorenheit.
Highlights der Platte sind das beinahe meditative „Walk It Back“, die melancholische Ballade „Dark Side Of The Gym“, der abgeschlagene und dennoch erhabene Song „Carin At The Liquor Store“ oder das treibende „I’ll Still Destroy You“, das mit düsterer Energie, getragener Elegie und einem genreübergreifenden und wilden Finale zu überzeugen weiß.
Insgesamt nehmen die elektronischen Parts viel Raum auf „Sleep Well Beast“ ein, was wohl als markanteste Veränderung im Sound der Band zu verzeichnen ist. Einigen Fans und Kritikern mag diese Entwicklung vielleicht weniger gefallen, schlussendlich bleibt sie jedoch Geschmackssache. Viel eher laufen The National Gefahr, ihre Perfektion so weit zu treiben, dass sie beinahe konstruiert wirken. Berningers Bariton-Gesang transportiert hingegen geballte Emotionen und verleiht dem Sound die nötige Tiefe, um alles andere als leidenschaftslos zu wirken.
Wertung
„Sleep Well Beast“ klingt melancholisch, anmutig, ausgeklügelt, intellektuell, experimentell und außergewöhnlich. Dass eine Band mit ihrem siebten Studioalbum noch einmal so begeistern kann und musikalisch wandelbar bleibt, ist alles andere als selbstverständlich. Wer dem jährlichen Winterblues bisher entkommen ist, läuft spätestens beim Hören des Albums Gefahr, in Schwermut zu versinken.
Sarah Ebert
Sarah lebt in Frankfurt und hat ihr Studium der Germanistik, Philosophie und den Erziehungswissenschaften gewidmet. Sie brennt für gute Musik aller Art, lässt sich aber wohl am ehesten zwischen Punk, Rock & Indie verorten.