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Engst und „Flächenbrand“: Aller Anfang ist gut

„Die erste Platte machen ist wie´n extra dickes Ei legen“. Was Seeed schon 2001 aus Künstlersicht beschrieben, steht nun aus der Hörersicht auf dem Prüfstand. Liebes Debütalbum, lass sehen, was du auf dem Kasten hast!
Engst Flächenbrand Cover

Auf die im vergangenen Jahr erschienene, selbstbetitelte EP lassen die Berliner ihren ersten, vollwertigen Longplayer folgen. Manche Künstler verwenden zu diesem Zweck bereits bestehende Songs. Kann man durchaus so machen, ist jedoch nur mäßig spannend. Engst hingegen gehen ambitionierter zu Werke und liefern 11 brandneue Stücke. Als Cover dient die bundesdeutsche Hauptstadt, flammend hinterlegt. Das Ganze mutet kritisch an, vielleicht ein thematischer Wink in Richtung der Gentrifizierung urbaner Lebensräume und der damit verknüpften sozialen Ungleichheit? Unstete Zeiten bieten häufig die besten Steilvorlagen für überdurchschnittliche Musik („American Idiot“, irgendjemand?). Und tatsächlich: Vom Prädikat „Durchschnitt“ setzen sich Engst konsequent ab.

„Ich stehe wieder auf“ knüpft als Opener an die „Hymne der Verlierer an“. Ein musikalisch solider, geradliniger Rocker, der Motivation für jeden regnerischen Novembertag bietet. „Flächenbrand“ weist auf inhaltlicher Ebene zwei Schwerpunkte auf. Zum einen ist es geprägt von persönlichen, autobiographischen (?) Zeilen. Man beschäftigt sich mit den verschiedenen Stufen des Trennungsschmerzes („Der Moment“ oder „Ist mir egal“), belächelt Sinn- und Unsinn des alltäglichen Zusammenlebens („Optimisten“) oder verliert sich in Pogo-tauglicher Beweihräucherung des eigenen Schaffens („Eskalieren“).

Auf der Rückseite der Medaille schafft man ein gesellschaftskritisches Gegengewicht. So ist „Fremdes Elend“ verzückend drückender Punkrock, der die moralische Abstumpfung unter dem Einfluss von Reality-, Casting- und Talk-Shows anprangert. „Ein Sommer in den Charts“ knöpft sich die fließbandartige Songproduktion (und die damit verbundenen Qualitätseinbußen) großer Musikverlage vor. „Mit Raketen auf Spatzen“ zielt man auf den zunehmend gesellschaftsfähigen Hass auf vermeintliche Eliten und Andersdenkende. „Morgen geht die Welt unter“ vervollständigt den global ausgelegten Kugelhagel – natürlich handelt es sich nicht um bahnbrechende Innovationen, doch Engst schaffen es, die Missstände nicht omnipräsent erscheinen zu lassen. Ein Funke Kampfgeist und der nötige Wille zur Veränderung schwingen stets mit und fordern den Hörer zum Anpacken auf.

Balladeske Töne dürfen das kurz geratene Album beschließen. „Träumer und Helden“ ist rührselig, sentimental und schielt in Richtung der guten alten Zeit. Revolverheld lassen grüßen. Ohne Schwachpunkte würden die Highlights schließlich nicht genug zur Geltung kommen – so oder so ähnlich muss die dahinterliegende Intention gelautet haben.

Egal ob Praktika bei Andreas von Holst (alias Kuddel), nächtliche Brainstormings mit Farin Urlaub oder melodische Überlegungen mit Sebastian Madsen für die dargebotene Raffinesse verantwortlich sind – Engst schaffen es, in einem überschwemmten, deutschsprachigen (Rock-)Markt, ein individuelles Klangbild zu erschaffen. Die Trademarks guter Rocksongs tummeln sich wie die Löwen zur Fütterungszeit in einem Großstadtzoo. Welpenschutz für das Erstlingswerk? Nicht notwendig!

Fazit

8
Wertung

Seit ihrem Support-Slot für Serum 114 sind mir Engst ein Begriff – gerade noch rechtzeitig zum Release dieses Hochkaräters. Die Zukunft differenzierter, deutschsprachiger Rockmusik scheint nach diesem Kreuzfeuer strahlender zu sein.

Marco Kampe