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Einstürzende Neubauten und “ALLES IN ALLEM”: Summa Summarum

Die Berliner Experimental-Urväter Einstürzende Neubauten melden sich nach 12 Jahren mit ihrer neuen Platte “Alles in Allem” zurück. Suggeriert der Titel eine Revue der Bandgeschichte, verheißt er gar den sprichwörtlichen Beginn des abschließenden Kapitels, für den die Floskel ‘Alles in Allem’ allzu gern verwendet wird?

“Alles in Allem war’s dann doch ein erfolgreiches Jahr. Alles in Allem kann man sagen, dass…” Eine solche Wortkonstruktion findet sich allzu häufig in den finalen Kapiteln diverser Abschlussarbeiten und Quartalsberichte. Sie suggeriert einen gewissen holistischen Anspruch, eine finale Allgemeingültigkeit. Tatsächlich offenbart sich aber in dieser leeren Floskel eine unsinnige Schwurbelei, in deren exzessiver Benutzung sich nicht zuletzt eine gewisse Selbst-Disqualifikation offenbart. Ist “Alles in Allem” jetzt also der große Rückblick auf die Karriere der Einstürzenden Neubauten? Der finale Blick über die eigene Schulter? Es wäre vermutlich abwegig, dem Albumtitel genau diese Bedeutung beizumessen, wo doch Blixa Bargeld sich und seine Kameraden in “Möbliertes Lied” von solchen Wortklaubereien loszusagen versucht. “Ich hab die verbrauchten Metaphern auf dem Giftmüll entsorgt”.

Liest man sich durch die Album-Promo der neuen Neubauten-Platte, entsteht der Eindruck, die Berliner würden in ihrer ganze eigenen Zeit, oder viel mehr Zeitlosigkeit, die sich die “Die Zeit der Einstürzenden Neubauten” nennt, leben. Reichlich kryptisch, aber was steckt hinter diesem scheinbaren Ewigkeitsanspruch? Das Thema Zeit, sei es nun ihr Stillstand oder ihre unaufhaltsame Vorwärtsbewegung, zieht sich durch viele der zehn Tracks auf “Alles in Allem”. Mal treibt ein metronomhaftes Ticken den Song an, mal lässt die Instrumentierung Freiraum für erdrückende Stillen, die sich wie ein Schleier über die Zuhörenden legt. So klingt der Song “Taschen” zum Beispiel wie ein stiller Marsch, getragen von regelmäßigen, herzschlagartigen Trommeln, die selbst dann noch weiterschlagen, wenn um sie herum längst nur noch undefinierbare Geräuschkulisse und schließlich Stille herrscht.

Diese industriell anmutenden, perkussiven Elemente erzeugen in Kombination mit Blixa Bargelds unverkennbarer, sonorer Stimme, die mehr deklamiert als singt, eine düstere und zugleich angenehm unaufgeregte Atmosphäre. Man verliert sich zuhörends in der schier endlosen Tiefe des Albums. Herausgerissen wird man lediglich durch die unregelmäßig anschwillende Soundkulisse und ab und zu auftretende Streicher. Diese wirken allerdings wie im Song “Seven Screws” nicht selten etwas deplatziert und stellenweise fast schon pathetisch. Allgemein neigt “Alles in Allem” manchmal etwas zu sehr zu seichten Schlafliedschunkeleien, die den niederschmetternden Momenten einiges an Intensität rauben.

Auf der lyrischen Ebene gestaltet sich die Deutung, wie für die Neubauten typisch, eher schwierig. Es handelt sich scheinbar um eine Reise durch den Hauptstadt-Hometurf der Band, das suggerieren zumindest Songs wie “Am Landwehrkanal”, “Grazer Damm” oder “Wedding”. Es ist gewissermaßen Berlin, das Album, von Berlin, der Band. Hier und da schimmern durch die wirren Satzkonstruktionen von Blixa Bargeld Referenzen an historische Geschehnisse wie den Mord an Rosa Luxemburg oder politische Stellungnahmen wie in “Möbliertes Lied”: “Der starke Mann trägt jetzt ein Kleid”. Darüber hinaus bleiben die Texte sehr vielsagend. Beziehungsweise nichtssagend. Sie sagen gewissermaßen alles und nichts zugleich. Alles in Allem gelingt den Einstürzenden Neubauten mit “Alles in Allem” ein stimmungsvolles Album, dessen Zeitlosigkeit aber oft vom eigenen Hang zu pathetischen Schunkeleien überschattet wird.

Fazit

6.9
Wertung

Für Neubauten-Fans dürfte mit “Alles in Allem” eine zwölfjährige Veröffentlichungsdurststrecke ihr Ende finden. Wer auf der Suche nach einer akustischen Hauptstadtrundfahrt ist, wird hier fündig, darf sich aber nicht über das ein oder andere Schlagloch wundern.

Kai Weingärtner