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Cigarettes After Sex und “Cry”: Das Heartbreak-Album für alle, deren Herz noch nie gebrochen wurde

Cigarettes After Sex schreiben sich auf die Fahne, mit ihrer Musik große Emotionen zu wecken. Es geht um die Liebe, erwidert oder abgewiesen, seelisch oder körperlich - völlig egal, Hauptsache Herzschmerz. Die Texte auf “Cry” transportieren diese Emotionen - leider oft etwas zu sehr.

Zwei Jahre ist es her, dass das Ambient-Pop-Outfit Cigarettes After Sex aus Texas sein gleichnamiges Debüt-Album veröffentlicht aht. “Cry” bleibt der musikalischen Linie des Vorgängers treu, ohne großartige Vorstöße in neues Terrain zu wagen. Die Gitarren klimpern verträumte Melodien über langgezogene Keyboardflächen. Allein diese Kombination kitzelt erste Bilder von verregneten Zugfahrten hervor, mit dem Kopf am Fenster, die Regentropfen zählend. Dazu gesellen sich dann ein zurückhaltendes Schlagzeug und ein entschleunigter Bass, was die Melancholie der Platte sehr gut unterfüttert. Über dieses Klangbett legt sich wie eine seidene Decke der säuselnde Gesang von Frontmann und Bandgründer Greg Gonzales. Der klingt dabei so angestrengt ruhig und gefühlvoll, dass es für ihn schier unmöglich sein muss, diese Songs nicht mit fest geschlossenen Augen, eine Träne verdrückend, und den Lippen ganz nah am Mikro zu singen. Dass auch ein noch so seichtes Flüstern mit der richtigen musikalischen Untermalung eine wahnsinnige Intensität entfalten kann, ist spätestens seit Billie Eilishs Mega-Erfolg kein Geheimnis mehr. Einen solchen Impact hat der Gesang von Gonzales zwar nicht, die Tendenz zum ASMR bleibt dennoch hörbar. Dem ist vor allem so, weil über sämtliche musikalischen Komponenten eine große Ladung Reverb liegt, wodurch das Ambient-typische Gefühl erzeugt wird, die Musik würde durch einen riesigen, leeren Raum schallen.

Die Texte der Platte versuchen die alltäglichen und banal scheinenden Aspekte von Liebe und Beziehung in die Musik zu bannen. Dabei spielt vor allem die körperliche Liebe eine große Rolle, was wohl angesichts des Bandnamens keine allzu große Überraschung sein sollte. Allerdings schimmern hier trotz des bodenständigen Anspruchs der “echten” Liebe immer wieder altbekannte Klischees durch. Das Mädchen sieht den unsterblich in sie verliebten Protagonisten nicht, weil sie zu sehr mit ihren “rich fuckboys” beschäftigt ist, aber letztlich finden sie selbstverständlich doch zusammen. Nur gipfelt “Cry” nicht in einer absurd romantischen Prom-Szene, sondern eben im Gipfel, sprich im Höhepunkt. Und am morgen danach gleich nochmal, denn natürlich ist er der beste Liebhaber, den sie je hatte. Auch diese expliziten Passagen sind oft zu banal und on the nose, als dass man sie dem Protagonisten wirklich abkauft. Wer bei Zeilen wie “and it’s all soaking wet as you take me in your mouth” oder “I don't need to say a word, i just wanna see you upside down” einen roten Kopf bekommt, findet wahrscheinlich auch 50 Shades Of Grey total verrucht. “Cry” scheitert daran, die besagte alltägliche Liebe glaubwürdig darzustellen, auf Kosten des sich selbst auferlegten Anspruchs an die “großen Emotionen”. Und so ist die Platte am Ende nicht viel mehr als die Zigarette danach. Man denkt es wäre “the real thing”, dann probiert man es aus und stellt fest, dass man es sich vorher doch irgendwie geiler vorgestellt hatte.

Fazit

5
Wertung

Musikalisch bietet “Cry” genau das, was drauf steht: ein melancholisch trauriges Album über Liebe, Sex und Herzschmerz. Mir sind die Texte allerdings oft zu dick aufgetragen. Wer darauf weniger Wert legt, kann trotzdem viel Spaß - oder viel Trauer, je nachdem, wie man es sieht - mit der Platte haben.

Kai Weingärtner