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Anti-Flag und „American Reckoning“: Akustische Alternativen

Anti-Flag können nicht nur laut, sondern auch ruhig. Das beweisen sie mit ihrem neuen Akustikalbum, auf das sie sich auch an ein paar große Klassiker der Rockgeschichte trauen.

Ein erster Blick auf die neueste Anti-Flag-Platte lässt eher vermuten, dass es um irgendeine Hipster-Hardcore-Platte geht anstatt um ein Akustikalbum. Schwarzer Hintergrund und weiße, kreisförmig um den Bandnamen angeordnete Symbole. Zu sehen sind unter anderen ein Atompilz, eine Pflanze, ein Panzer und ein Kraftwerk. Okay, vielleicht doch nicht so ganz hipstermäßig. Dreht man den Tonträger um, findet man die Trackliste mit zehn Songs. Sieben davon stammen aus den beiden letzten Anti-Flag-Alben „American Spring“ und „American Fall“. Die Aktualität ihrer politischen Texte ist also noch vorhanden. Neben eigenen Songs haben sich die Punker auch an Covern versucht: John Lennon, Buffalo Springfield und Cheap Trick. Große Namen. Mal sehen, wie sie das umgesetzt bekommen.

Ein erstes Anspielen zeigt schon deutlich, worum es hier geht: Nämlich darum, die Texte in den Vordergrund zu stellen. Während die Originalversion von „The Debate Is Over (If You Want It)“ vom lauten und schnellen Schlagzeug und „Woah“-Rufen dominiert wird, kommt Justin Sanes Stimme in der Akustikversion direkt zur Geltung. Das laute Schlagzeug ist weg, aber langweilig ist es dennoch nicht, dafür sorgen die Gitarrenmelodien. Und ein bisschen „Woah“ gibt es am Ende dann doch noch.

Eine Zwischenbilanz nach der Hälfte: Bis jetzt super umgesetzt. Die Akustikversionen sind abwechslungsreich, neu interpretiert statt nur „unplugged“ und eine schöne Alternative zu den Originalen, wenn man es mal etwas ruhiger haben möchte, ohne auf Anti-Flags Attitüde verzichten zu müssen. Die Stimme von Justin Sane klingt fast rauchiger als sonst, was den gemütlichen Akustikeffekt noch verstärkt.

John Lennon ist ein Friedenssymbol der Musikwelt, engagierte sich politisch und schrieb dazu passende Songs. Da scheint es nur logisch, dass sich die Politpunk-Band Anti-Flag auf ihrem neuen Akustikalbum einen seiner Songs vornimmt. Die Wahl fiel auf „Gimme Some Truth“. Während das Vorbild eher ruhig ist (John Lennon eben), haben Justin Sane und Co. aufs Tempo gedrückt, ihre Gitarren verzerrt und sich auch mit dem Schlagzeug nicht zurückgenommen. Heraus kam eine 1A-Punkinterpration, die genau so klingt, wie man sie sich vorstellen würde.

Mit „For What It’s Worth“ von Buffalo Springfield haben sich Anti-Flag eine weitere Größe vorgenommen. Wieder ein ruhiges Original und eine punkige Interpretation, die aber noch gemäßigt bleibt. Allerdings auch hier wieder nicht akustisch gespielt. „Surrender“ von Cheap Trick wurde schon von etlichen Punkbands gecovert. Anti-Flags Version reiht sich da ein, ohne jedoch besonders herauszustechen. Der Song behält im Großen und Ganzen den Sound des Originals, endet schließlich mit nicht musikalisch unterlegten Rufen, was dann doch wieder mehr nach Punk klingt.

Ein Fazit nach einer guten halben Stunde ist schnell gezogen: Mit „American Reckoning“ liefern Anti-Flag ein starkes Akustikalbum ab, das keine Längen hat und einfach Spaß macht. Das i-Tüpfelchen bilden die drei Cover am Ende, die jedoch auch als Akustikversionen schön gewesen wären.

Fazit

8
Wertung

Ein super Album, das auch Leuten gefallen dürfte, die die Originale nicht kennen. Das John-Lennon-Cover hat mich überrascht, aber auf eine positive Art und Weise.

Lara Teschers
5.9
Wertung

So ganz will sich mir der Mehrwert dieses Albums nicht erschließen. Einer wütenden Punk-Platte den Strom zu kappen ist natürlich auch Punk, klar – aber dann? Dann bleibt es bei vier Männern, die scheinbar am Lagerfeuer das Best Of von American Attraction trällern und sich zu Covern ihrer Helden hinreißen lassen. Nett, aber Nichts, das man unbedingt auf Platte pressen müsste.

Miriam Rhein