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"Add Violence" - Zweiter Teil der Nine-Inch-Nails-EP-Trilogie

Im Dezember 2016 veröffentlichten Trent Reznor und sein neuer fester musikalischer Partner Atticus Ross ihre EP „Not The Actual Events“. Einige Monate später eröffnete Trent, dass diese der erste Teil einer Trilogie sei. Mit „Add Violence“ ist nun der zweite Teil dieser Reihe da. Wie auch schon auf der Ende 2016 erschienenen EP gibt es fünf Tracks auf die Ohren, die es in sich haben.
Nine Inch Nails Add Violence Cover

„Not The Actual Events“ erinnerte mit seinem rohen und destruktiven Industrialsound sehr an Werke wie „Broken“ und „The Downward Spiral“ aus den frühen Jahre der Nine Inch Nails. „Add Violence“ klingt eher wie die Bandphase welche 2005 mit „With Teeth“ eingeleitet wurde. Der Sound ist cleaner und sortierter. Die Wut in den Lyrics bleibt, nur wird sie subtiler vorgetragen.

Der erste Song „Less Than“ beginnt mit hämmernden Drums und einer retrohaften Synthiespur, welche aus einem Actionfilm der 80er stammen könnte. Trent setzt mit cleaner Stimme ein und steigert sich durch den Song hinweg immer mehr, teils mit leichtem Brüllen, teils mit Effekten. Die verzerrten und flächigen Gitarren erinnern stark an „The Hand That Feeds“, der ersten Single aus „With Teeth“. Der Song dürfte aufgrund seines Pop-Appeals der radiotauglichste der EP sein. Im Text versteckt ist auch eine Referenz zum Album „Welcome Oblivion“ von Trents Zweitband How To Destroy Angels. Der Song ist ein typischer Vertreter der politischen Nine-Inch-Nails-Songs, da er weder zu direkt und plump, noch zu nichtssagend ist.

Das zweite Lied „The Lovers“ ist ein ruhiges Stück aus Synthesizer und Piano, begleitet von einem subtilen Drumloop. Es erinnert teilweise an „A Minute To Breath“ vom Soundtrack des DiCaprio-Films „Before The Flood“. Hier gibt es eine Referenz zu „Dear World,“ von „Not The Actual Events“ in Form der Zeile „Everyone seems to be asleep“. Stimmlich wechselt Reznor zwischen geflüsterten Spoken-Word-Parts und cleanem Gesang.

Im dritten Song „This Isn’t The Place“ schwirren Synthiesounds um eine düstere Bassline, begleitet von einem sanften Piano. Die Stimmung wirkt bedrückt bedrohlich und baut sich langsam auf, bis Reznor mit hoher und sanfter Stimme einsetzt.

„Not Anymore“ ist der vierte Track und beginnt mit durch den Bitcrusher gejagten Drums. Schwere, düstere Gitarren und dissonante Synthesizer begleiten Trents Stimme, bis dieser im Chorus in Begleitung von echten Drums lauter und aggressiver wird. Der Track wirkt etwas holprig, da der Übergang zum Chorus nicht vorhanden ist und somit plötzlich aus dem Nichts die Drum-Spur wechselt. Bei einem erfahrenen Musiker wie Reznor ist dies wohl eher eine künstlerische Entscheidung als ein Unfall, dennoch wird es nicht jedem gefallen. Muss es aber auch nicht.

Der letzte Song der EP heißt „The Background World“, ist sehr düster und schafft es, schleppend und getrieben zugleich zu klingen. Stimmspuren im Loop, verzerrte Synthies, ein pumpender Drum-Beat und ein tiefer Bass schaffen im Einklang mit den Texten eine ungemütliche Atmosphäre. Nach vier Minuten gibt es einen Cut und der Song läuft die nächsten acht Minuten mit nichts als einem hypnotischen, zehnsekündigen Loop weiter, welcher immer mehr verzerrt wird und schließlich fast zum White Noise wird.

Musikalisch hört man die Handschrift von Reznor und Ross sehr deutlich. Teils erinnern die Stücke an Filmscores der beiden, an anderer Stelle hört man „With Teeth“ oder „Year Zero“ heraus. Die EP hat dennoch einen sehr eigenen Stil und ist alles andere als ein Stillstand. Seit 1989 ist Reznor getrieben und erfindet den Sound seines Projekts stetig neu, so nun auch 2017. Wer allerdings mehr Interesse an dem Gitarrensound der Band hat, wird hier leider kaum bedient. Synths und Stimme werden bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, Bass und Drums hängen schwer über den Songs und tragen die Melancholie und Wut.

Textlich zeigt sich erneut - wo Nine Inch Nails draufsteht ist auch Nine Inch Nails drin. Reznors Texte bleiben gewohnt vage und zurückhaltend. Sie lassen viel Platz für Interpretationen und so könnte mancher Song über seine Psyche aber auch über die Gesellschaft sein. Dies zu entscheiden obliegt dem Hörer. Einzige Ausnahme ist womöglich „Less Than“, welcher vergleichsweise direkt daherkommt. Wie schon seit den 90ern sind in den eingebetteten Lyrics Zeilen, welche Trent im Song nicht singt, was viel Raum für Spekulationen bietet.

Fazit

8.1
Wertung

Das zweite Werk als Zweimannband klingt deutlich anders als „Not The Actual Events“ und erfüllt ein wenig den Wunsch nach einem „Year Zero 2“, welcher seit Jahren durch das Internet geistert. Der Sound bleibt roh und brutal, wirkt jedoch geordneter als noch auf dem ersten Teil der Trilogie. Wer das musikalische Schaffen von Reznor nach 2005 mochte und mit den eher Synthie-lastigen Veröffentlichungen sein Vergnügen hatte, wird hier gut bedient. Allen anderen sei definitiv ein Reinhören ans Herz gelegt.

Johannes Kley