Natürlich dauerte es etwas bis die große Emowelle losbrach. Interessant war damals die Tatsache, dass viele meiner Freunde, die vorher Revolverheld oder Rihanna gehört haben, auch zum Emocore fanden und mein Freundeskreis zwischenzeitlich sehr viel schwarzgekleidete Menschen enthielt. Mädchen, die vorher noch als Tussi verschrieen waren, kamen plötzlich mit blauen Flecken aus dem Mosh Pit vom Silverstein-Konzert und auch viele Jungs trugen die Haare vor den Augen. Es war plötzlich auch völlig okay darüber zu reden, wenn es Leben scheiße lief. Ich weiß nicht mehr auf wie vielen Partys Leute plötzlich heulten. Emocore hatte es legitim gemacht, sich schlecht zu fühlen und dies auch rauszulassen. Klar, die Stimmung war dann temporär mal etwas schlechter, aber wir alle wissen, wie wichtig es ist, psychische Probleme nicht zu ignorieren. Natürlich war nicht jede Person damals depressiv, aber wir alle waren in der Pubertät und da fühlt sich jedes gebrochene Herz an, wie ein Weltuntergang. Hat bei mir nie aufgehört.
Viele behaupten, dass alle Emos sich geritzt haben und ich will nicht in Frage stellen, dass selbstverletzendes Verhalten zur Ästhetik des Genres gehörte. Ja, auch ich habe mich geritzt, aber auch schon bevor ich Emocore kannte. Das ist ähnlich wie bei Rapmusik. Eltern behaupten ja gerne, dass ihr Kind ein asozialer Sexist wurde, weil er zu oft 187 Straßenbande gehört hat. Ist das so einfach? Ich kenne viele, die Gzuz hören, seine Musik aber eigentlich nur dafür feiern, wie asozial er eben rüberkommt. Die hören das ironisch, wie gut auch immer das ist. Wenn dein Kind Frauen verachtet und auf sinnlose Gewalt steht ist vermutlich nicht Gzuz (oder irgendein anderer aus diesem Genre) Schuld sondern die Erziehung, das gesamte soziale Umfeld und der IQ. Ähnlich wie bei der völlig dämlichen Killerspiel-Debatte und genauso ist es beim Emocore. Die, die sich davor schon verletzt haben, die immer ein wenig auf der graueren Seite des Lebens existierten, fanden die Musik eben ansprechend. Vielleicht gab es ein paar Menschen, die unbedingt dazugehören wollten und es nur darum taten, aber die Zahl derer dürfte, meiner Meinung nach, eher gering sein.