Kolumne

Das Geheimnis des K-Pop - Im Namen der Kunst

Fröhlichkeit, schrill, Opfer, laut. Eines der Wörter scheint offensichtlich nicht in die Reihe zu passen, aber sie alle treffen den Trend der seit Jahren um die Welt geht: K-Pop. Was nach einer süßen, heilen Welt aussieht, ist in Wahrheit ein hartes Business um Schönheitsideale, Erfolg und natürlich Unmengen Geld.
BTS

Dass K-Pop auch außerhalb von Südkorea ein Ding ist, ist ohne jeden Zweifel auf Psy zurückzuführen. Der „Gangnam Style“ war unglaublich erfolgreich und hat das Nischenprodukt K-Pop international populär gemacht. Der Mix aus Rap, Techno und Pop funktioniert so gut wie nie zuvor. Glaubt man dem südkoreanischen Ministerium für internationale Beziehungen, erstreckt sich eine große Fanbase in über hundert Ländern und umfasst an die 100 Millionen Fans. Auch in Deutschland ist der Hype schon angekommen. 2019 war ein Konzert der Gruppe Blackpink innerhalb von 10 Minuten ausverkauft. Der Preis: 240 Euro pro Ticket. Aber wie funktioniert diese Maschinerie?

Zuerst mal spielt das Aussehen eine wichtige Rolle. Das Ziel ist das sogenannte Bagle-Face, ein koreanisches Schönheitsideal. Ovales Gesicht, Große Kulleraugen mit doppelter Lidfalte, Stupsnase, ein makelloser Teint, natürlich weiß. Wer das nicht hat, der muss nicht verzagen. Denn alleine im Seouler Stadtbezirk Gangnam gibt es über 400 schönheitsichirurgische Praxen und Kliniken. „Bagle“ ist dabei ein Kofferwort aus „Babyface“ und „Glamour“. Allgemein gilt: Nur wer schön ist, wird geklickt. Also wird nicht nur das Gesicht modelliert, auch der Körper wird „optimiert“. Sixpack, Knackarsch, alles was dazugehört. Aber das hat auch seine Schattenseiten. Pfusch bei den OPs bis hin zu Todesfällen aus verschiedensten Gründen, die Schönheit ist ein dreckiges Geschäft mit unorthodoxen und hochbedenklichen Praktiken, die ganze Bücher füllen können.

Aber warum ist das Aussehen so essentiell? Bei der Frage muss der Autor fast selber lachen. Neben den offensichtlichen Gründen gibt es jedoch besonders seit den letzten Jahren einen neuen Grund: TikTok. Teils anspruchsvolle, teils lächerliche Choreos erblicken auf der Videoplattform täglich das Licht des Internets. Und sogar ganze Castings werden über diese App von den Talentagenturen abgehalten. Sie alle hoffen, von einer der großen Agenturen entdeckt zu werden. Denn Solo schaffen es die wenigsten, am ehesten in Formationen, Boy- oder Girl-Groups nicht unähnlich. Vier bis elf Künstler kann so eine Formation beinhalten. Allerdings stets getrennt. Gemischt-geschlechtliche Gruppen gehören der Seltenheit an. Ein Grund dafür: Beziehungsverbote. Viele Verträge beinhalten „No Dating“-Klauseln. Den Grund erklärt Manager Bernie Cho und nennt Dating als Problem in einem Atemzug mit Drogen und Alkohol. Schlagzeilen über einzelne Mitglieder sind immer erstmal schlecht, denn sie betreffen rasch die ganze Band. Da viele Musikmanagements in Korea an der Börse sind, kann jede negative Schlagzeile sofort auf den Börsenwert gehen. Und so sichern sich Unternehmen ab, um im Zweifelsfall auch rechtlich gegen diese Künstler vorgehen zu können, was gerade bei neuen Formationen in beständiger Regelmäßigkeit vorkommt.

Doch was soll man sagen: Es funktioniert! Mit BlackPink hat es die erste K-Pop-Band als Headliner aufs Coachella-Festival geschafft. Ihr meistgeklickter Track wurde auf YouTube „Ddu-Du Ddu-Du Ddu-Du“ (geiler Titel) beinahe 1,1 Milliarde Mal aufgerufen. Die Top-Ten aller K-Pop Songs auf YouTube bringt es auf bald 12 Milliarden Klicks. Bald hat sich statistisch jeder Mensch auf der Erde eines dieser Videos angesehen, ziemlich krasser Schnitt.

Und der Erfolg und der Einfluss ist auch in Europa immer weiter auf dem Vormarsch. Netta, die israelische Sängerin beim ESC 2018, gewann den Contest mit ihrem Song „Toy“, der stark von koreanischer Pop-Musik geprägt ist. Die Boyband BTS, auch Bangtan Boys genannt, hat mit ihrem Album „Love Yourself: Tear“ als erste koreanische Band Platz eins der amerikanischen Billboard 200 erreicht.

Doch hinter großen Erfolgsstorys bleiben die Opfer dieser Industrie. Die Talentagenturen lassen ihre Entdeckungen regelrechte Sklavenverträge unterschreiben, um größtmöglichen Einfluss auf die Künstler zu haben, bei lächerlicher Bezahlung. Einer der berühmtesten Fälle stammt aus dem Jahr 2009. Als die Formation TVXQ die Agentur SM Entertainment verklagt hat. SM Entertainment hat bis heute ein Paar der erfolgreichsten Formationen unter Vertrag. Bei der Klage ging es um den 13-Jahres-Vertrag, der der zu dem Zeitpunkt schon recht erfolgreichen Formation kaum Anteile an den Gewinnen zusprach. Das Gericht gab TVXQ Recht.

Das Problem ist, dass die sehr jungen Künstler zur Ausbildung an die Agentur gebunden werden. So werden das Tanztraining, die Choreographen, die Songwriter und die Unterkunft in Rechnung gestellt und vom „Gehalt“ abgezogen. Und über die Jahre halten sich Gerüchte über sexuelle Ausbeutung bei jungen weiblichen Künstlerinnen. Jedoch hält hier die Szene zusammen, noch hat sich niemand dazu öffentlichkeitswirksam geäußert.

Doch was soll's. Diese Geschichten sind bekannt. Entstellte Gesichter von den schiefgegangenen Schönheits-OPs kursieren, ausgebrannte Teenager versacken nach der körperlichen und seelischen Ausbeutung ihrer „Ausbildung“ in Korea. Im K-Pop zeigt das Showbusiness seine hässliche Fratze. Aber wie so oft, alles irrelevant, denn im Namen der Kunst scheint alles erlaubt zu sein. Es ist natürlich vermessen, nur auf den K-Pop zu zeigen, da überall, in jeder Showbranche ein Keller voller Leichen steht. Und doch ist es bitter, da der K-Pop stets eine heile schillernde Welt propagiert, Hoffnung gibt für die Hoffnungslosen. Jeder kann alles schaffen. Außer du fällst durch das Raster.