Im Kreuzverhör

Im Kreuzverhör #22: Grachmusikoff - "Goddsallmächdig"

Einmal monatlich stellt sich die Redaktion gemeinsam Platten außerhalb ihrer Komfortzone. Diesmal wirft Moritz Mundart-Rock mit Volksmusikprägung von den Schwaben von Grachmusikoff in den Ring.

Das ist für mich pure Nostalgie. 2002 wurde dieses Live-Album von Grachmusikoff herausgebracht. Bad Schussenried, oder auch „Schussaríad“ gesprochen, das ist ihre Heimat. Tiefstes Schwaben, tiefstes Baden-Württemberg. Lokalmatadore, viel mehr waren sie vermutlich nicht. Aber auch das weiß ich nicht detailliert, denn obwohl es zu den ersten Alben gehörte, welches ich mehr als einmal gehört habe, war ich zu diesem Zeitpunkt sehr jung. Die CD wurde immer auf Familienreisen im Auto mitgenommen. Und als ich Jahre später das Cover im väterlichen CD Regal sah, durchlebte ich mehrere Flashbacks und gleich nochmal, nachdem ich sie das erste mal wieder eingelegt hatte. Besonders die ersten Tracks, vom Intro „Gebrauchte Pariser“ bis „Banana Boat“, sind mir besonders im Gedächtnis geblieben. Zur Erklärung: Der Anfang des Albums wurde immer zweimal gehört, da unser Autoradio stets die gespielte CD sofort wieder startete wenn sie durch war. Ich hab mich immer gefreut wenn die Lieder gleich wieder kamen, so war es mir auf jeden Fall lieber als Radio zu hören. Aber irgendwann merkten es die Eltern und wechselten das Programm. Ich habe großes Verständnis für jeden, der nicht auf Mundartrock abfährt, aber für mich ist das immer ein Gefühl von Kindheit und löst in mir auch immer ein Gefühl von Urlaub und Ferien aus. Und die Geschichten vom „Schwaaz Veere“ oder vom „Ikarus vom Lautertal“ kann ich bis heute auswendig. Die Band hat sich 2017 aufgelöst. Aber das Album besteht. Einfach ein Stück meiner Familiengeschichte.

Ich hätte es wissen müssen. Also Moritz mich fragte, ob noch jemand am Kreuzverhör teilnehmen will, hätte ich ahnen müssen, dass er etwas Grausames bereithält. Ich hätte mich so gern geirrt. Was passiert, wenn man J.B.O., Die Höhner und Andreas Gabalier kreuzt? Genau, psychologische Kriegsführung. In diesem Fall heißt sie so wie eine Dorfkapelle, die mit billigem Chapkas auftritt, um ihrem pseudo-russisch-klingenden Namen gerecht zu werden. Grachmusikoff bieten auf diesem Live-Album (ich nehme an, dass das Publikum ausschließlich aus Geiseln besteht, denn freiwillig geht da keiner hin) eine krude Mischung aus Spoken Word und sowas wie Rockmusik, ab und zu auch Reggae oder Ska, nur eben größtenteils auf Schwäbisch, sodass ich auch Grindcore hören könnte – da verstehe ich genauso viel. Dazu muss man wissen, dass ich Musik mit Dialekt nicht prinzipiell schlimm finde, nur habe ich zum Schwäbischen überhaupt keine Verbindung und wenn man dann die Hälfte des Textes nicht versteht, macht die ulkige Musik keinen Sinn. Dialekt-Rock ist eben eine Sache, die auch nur dort funktioniert, wo man es versteht (außer bei BAP und das kann mir auch keiner erklären) und das Besungene auch bekannt ist. Ich lebe nicht in Baden-Württemberg und bin auch des Hochdeutschen mächtig. Kein Grund Grachmusikoff zu hören, da helfen auch die Cover-Songs dazwischen nicht. Und Moritz - wenn ich dich das nächste Mal sehe, solltest du rennen! 

„Ich mach da nie wieder mit. Jakob, schreib irgendwas. Hör’s nicht. Du verstehst eh nix.“ Das vorangegangene Zitat stammt von Joe, der das Album dieser Kreuzverhör-Ausgabe schon ein paar Stunden vor mir gehört hat und offenkundig zutiefst traumatisiert ist. Ich war gewarnt und was soll ich sagen: Selten war ich froher, keinen Spotify-Premium-Account zu besitzen. Zwischen den obskuren Musikantenstadl-Schunkeleien von Grachmusikoff wirkt die unterbrechende Werbung nämlich plötzlich wie eine angenehme Erholung. Gut, ganz so schlimm ist es dann nach drei Songs nicht mehr, aber trotzdem bleibt die Frage zurück, wie zum Geier der mir bis eben noch sehr sympathische Moritz auf so ein merkwürdiges Stück besoffener Kneipenmusik kommen konnte. In meinem Gehörgang machen sich Assoziationen von rotzevollen Hochzeitsschlagermusikern breit, die eine mir völlig unbekannte Sprache sprechen (Gerüchten zufolge ist das „Schwäbisch“) und musikalisch ungefähr den Sound von Onkel Heiner erreichen, der auf Familienfeten allen mit seiner Akustikgitarre und 87 Strophen von „Danke für diesen guten Morgen“ auf den Sack geht. Von der Bläser-garnierten Oktoberfest-Vorhölle „Dr. Schnorrer“ über das klanggewordene 80er-VHS-Tutorial „Die Zeiten sind modern“ bis zum ekelhaften Akkordeon-Gedudel in „Heimatlied“: „Goddsallmächdig“ vereint alles, was Deutschlands Volksmusik-Valhalla in den letzten Jahrzehnten verbrochen hat. Ein Album wie eine Deutschländer-Wurst.