Vielleicht ist es durch seine sehr durchmischte Prägung zu erklären, dass die Songs von Kaak oft in ganz unterschiedlichen Welten zu spielen scheinen. Generell fällt Leon Kaack als ein Mensch auf, der Schubladendenken mit ziemlicher Vehemenz ablehnt. In Hannover studiert er Popmusik und trifft dabei auf einen unter Musiknerds überdurchschnittlich häufig auftretenden Elitarismus. „Ich habe ein krasses Trauma, was die Akzeptanz verschiedener ästhetischer Gesichtspunkte und Genres angeht“, sagt Kaack. „Da kommt oft die Hipster-Polizei. Ich habe in der WG-Küche Linkin Park angemacht und das ging gar nicht. Da kamen dann als Gegenantwort Mac DeMarco, Tame Impala oder Father John Misty. Ich habe das alles total gefeiert, da ging für mich eine ganz neue Tür auf. Aber dieses Denken dahinter hat mich unfassbar genervt. Irgendwann habe ich selbst das auch übernommen und mich selbst genervt.“
Interessanterweise scheint es so, als habe Kaack innerhalb seiner antischematischen Denkens und den gegenwärtigen Mechanismen der Musikindustrie auch eine Chance gesehen. Schon Bring Me The Horizon hatten mit ihrer Platte „Amo“ ein Statement für die Vielgestalt und Widerspruchslosigkeit unterschiedlichster Singles gesetzt – und Frontmann Oli Sykes kommentierte im Nachgang sogar, er würde möglicherweise nie mehr ein Album machen wollen. Das, was die Sheffielder auf ihrem sechsten Langspieler als Verbindung verschiedenster Stile und vieler separater Kleinkunstwerke ausspielen, haben Kaak auf ihrem Debüt „Schrei doch“ nochmal auf ein ganz neues Level gehoben. Die Platte ist nicht nur stilistisch das Ergebnis zahlreicher Experimente, sondern obendrein tatsächlich die Summe von zwölf (!) Singles, die im Laufe eines einjährigen Releasemarathons jeweils mit eigenem Musikvideo erschienen. Dadurch gelingt dem Projekt tatsächlich ein erstaunlicher Spagat: Es bewegt sich klug auf den gegenwärtigen Marktmechanismen der aktuellen Musikindustrie und kann gerade dadurch das künstlerisch vielgestaltige Ethos mit sich tragen, das Leon Kaack trotz klarer Fokussierung auf Gitarrenmusik ausmacht. „Auf eine Weise konnten wir uns da natürlich verwirklichen und ausprobieren“, fasst er es zusammen. „Logischerweise hatte das aber auch den Hintergrund, damit Präsenz zu schaffen. Hätten wir einfach ein Album und dazu zwei Videos gemacht, hätte das niemand mitbekommen. Ich würde all das heute auch nicht mehr so machen. Wir haben sehr viel Zeit und Geld investiert, die man vielleicht auch anders hätte verwenden können. Aber wir wollten gern etwas machen, was vielleicht nicht die Neuerfindung des Rads ist, aber einen zumindest aufhorchen lässt.“
Diese Release-Politik bietet viel Spannung und neue Möglichkeiten für ein musikalisches Projekt – gerade in einer Zeit, in der man sich mehr denn je auf dem schmalen Grat zwischen künstlerischer Freiheit und digitaler Gesetze bewegen muss. Der Prozess von „Schrei doch“ fordert jedoch auch seinen Tribut, wie man zum Beispiel im Song „Deine Zeit“ gut hören kann. „In diesem Song mache ich meinen eigenen Struggle mit diesem Release-Marathon aus“, erinnert sich Kaack. „Das war in jeder Hinsicht für mich eine unfassbar prägende Situation. Ich bin nahe an einem Burnout vorbeigeschlittert, weil einfach so viel gleichzeitig passiert ist. Ich saß im Proberaum und musste einfach etwas texten.“
Nachdem diese Mammutaufgabe vorüber ist, kann Kaack wieder etwas weiter in die noch sehr offene Zukunft blicken. Für den Musiker stehen demnächst erstmal Projekte mit der Sängerin Alina Bach an, in deren Band er spielt. Auch das von ihm ins Leben gerufene „Skate And Destroy“-Festival wird 2022 in eine neue Runde gehen und am 23. Juli stattfinden. Was aus der Band Kaak wird, ist im Augenblick noch sehr offen – aber feststeht, dass es Bands wie diese braucht, die in allen Veränderungen der Gegenwart keine Restriktionen, sondern Chancen sehen.