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Kaak und "Schrei doch": Grenzgänger

Irgendwann ist immer das erste Mal. Kaaks Debütalbum "Schrei doch" macht zwar den Anschein, ein Rekordversuch für möglichst viele verschiedene Genres auf einer einzigen Platte zu sein, es ist aber genau diese Vielseitigkeit, die auch beim ersten Albumversuch der Band schon mit Ansage einschlägt.

Das von der Band Kaak erschaffene Album "Schrei doch" ist eigentlich bereits zugänglich. Die vier Hannoveraner Musiker Leon (Gitarre und Gesang), Markus (Gitarre), Simon (Bass) und Tobias (Drums) ließen sich bereits in der jüngeren Vergangenheit für alle zwölf Titel der Platte mehr einfallen, als einfach nur die Musik, aus der sie jeweils bestehen. Die für so viele Künstler:innen schwierige, uns allen bekannte Zeit macht nun mal erfinderisch. Für Kaak war diese Phase im vergangenen Jahr der Anlass dazu, einen wahren Marathon an Veröffentlichungen zu absolvieren. Die Band schrieb nicht nur die zwölf Titel für dieses Album, sondern veröffentlichte diese im Monatsrhythmus, inklusive Musikvideo! Wer daran bereits Gefallen gefunden hat (und erst recht die Kaak-"Neulinge"), bekommt diese nun auf leuchtend gelbem Vinyl und als Debütalbum aufgetischt.

"Was immer dich treibt, treibt dich zu weit". Das ist eine der vielen hängenbleibenden Zeilen, welche auf diesem Album zu finden sind. Umtriebig zu sein ist zumeist etwas gutes, mindestens genauso oft ist "zu weit gehen" negativ behaftet. "Du bist zu weit gegangen." Mit was auch immer. Das möchte man einfach nicht hören. Kaak balancieren diese Zustände zum Glück wunderbar aus. "Schrei doch" steckt voller Überraschungen, voller unterschiedlichster Stilrichtungen, die sich selbst innerhalb eines Songs den Staffelstab sicher in die Hand geben. Sich an etwas zu gewöhnen, scheint der größte Fehler beim Zuhören zu sein. Gleichzeitig setzt die Band auf diesem Album klare Grenzen, über die die Musik der Vier nicht hinausgeht. Die Jungs verzichten auf Experimente (Halleluja, es geht auch noch ohne Rap-Feature) und sind trotzdem so schwer zu definieren und damit eben umtriebig. Ohne zu wissen, was hinter den verschlossenen und hoffentlich gut isolierten Türen des Kaak-Proberaums gesprochen wird: "Lass uns das doch einfach noch einmal ganz genauso wie eben machen" gehört (jede Wette!) nicht dazu. Diese Variationen passieren allerdings sehr durchdacht portioniert und werden damit zu keinem Zeitpunkt unangenehm aufdringlich oder nervtötend. Ganz im Gegenteil!

Aber was hören wir uns hier wirklich an? Man könnte meinen, es sei durchweg auf deutsch gesungene Rockmusik. Aber kaum fasst man diesen Gedanken, brüllt Leon drauf los und lässt die vier gerade gebildeten Buchstaben im Kopf (R O C K) wie alten Zement auseinander bröckeln. Kopfkino gibt's hier gratis dazu. Im nächsten Gedanken legt man sich dann doch fest: Post-Hardcore! Manche Parts erinnern zum Beispiel an Fjørt. Aber dafür sind andere Teile (zum Beispiel im Track "Schrei doch") dann doch fast schon zu ruhig, zu besonnen, zu melodisch. Driftet dieser Refrain etwa schon in den Punkrock ab? Doch noch im selben Track fällt auch diese Vermutung wieder in sich zusammen. Das ist nahezu unberechenbar und fesselt die Ohren an den Sound der Gruppe. Während ein endloses Gitarrensolo im Schlusssong "Spiegelbild" zuerst effektiert und dann gnadenlos direkt auf einen einprasselt, sitzt man nach 12 Titeln ratlos wie begeistert da. Kaak beherrschen ihre Instrumente, so viel steht fest. Die Band hat ebenfalls Ideen und auf ihrer ersten Scheibe schon das nötige Know-how diese umsetzen, zu vertonen, zu verewigen. Wer nach einer Rutsche "Schrei doch" behauptet, dass man von dieser Band in Zukunft nichts mehr hören wird, DER oder DIE geht definitiv zu weit.

Fazit

7.5
Wertung

Das kam unerwartet! Aufgrund meiner miesen Sportwettenbilanz sollte ich vielleicht damit anfangen, beim Debütalbum auf das zu wetten, was eine junge Band noch erwarten wird. Kaak haben das Potenzial! Reinhören ist Pflicht.

Mark Schneider