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Thees Uhlmann und "Junkies und Scientologen": Vollkommen unvollkommen

Thees Uhlmann ist zurück. Fünf schier endlose lange Jahre hat der auf Deutsch singende Indie-Pop-Virtuose seine Anhängerschaft warten lassen. Das Ergebnis ist eine Achterbahnfahrt.
Thees Uhlmann Junkies und Scientologen Cover

Wer Thees Uhlmann kennt, weiß, dass Poesie auf Deutsch funktionieren kann. Die ersten beiden Alben waren jedes für sich kleine Meisterwerke. Während man bei „Thees Uhlmann“ immer das Gefühl hatte, die letzten Sonnenstrahlen in einer Bierflasche einfangen und aufbewahren zu müssen, fuhr man mit „#2“mit der letzten Zigarette im Mund in einem kleinen Auto bei miesem Wetter Richtung Meer. Leider kann der Sänger mit „Junkies und Scientologen“ dieses Mal nicht jenes Kunststück vollbringen – weder durch den Inhalt, noch durch perfektionierte Prosa. Die Platte wirkt wie der Wunsch nach einem inneren Leuchtturm in einer nebeligen Zeit. Uhlmann lässt kleine persönliche Kunststücke aufblitzen, die, leider mal mehr, mal weniger gelungen sind. Um eines vorweg zu nehmen: Man hofft immer wieder, dass jetzt das große Leuchtfeuer angezündet worden ist, stellt jedoch schnell fest, dass man immer noch im Dunkeln über die trübe Elbe schippert.

Dabei fing alles wie gewohnt ästhetisch an: Das Cover reiht sich mit dem schwarz-weißen Aufmacher in die Reihe der vorangegangenen Alben ein, die Farben des Artworks sind im typschen GHvC-Beige ruhig und einladend gehalten. Man erwartet warme, weiche Poesie mit ein bisschen Dunkelheit. Genau das liefert der Opener „Fünf Jahre nicht gesungen“, der bereits in Fankreisen extrem gut angenommen wurde. Der Song ist textlich stark und fesselt durch eine schöne Abwechslung von weichen Gitarren und harten Synthesizern, die ein bisschen an die 80er erinnern.

Es sollte zwar nicht politisch werden, kritisch geht es trotzdem zu. Scharfsinnig konturiert der Sänger in „Junkies und Scientologen“ eine auseinanderklaffende Gesellschaft, zeigt, wie dunkel und kalt es in Deutschland geworden ist – übrigens so sehr, dass man den gelben Friesennerz noch etwas höher zuziehen möchte, während man im Regen auf dem Deich spazieren geht.

Dagegen erscheinen Lieder wie „100.000 Songs“ und „Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach Hip Hop Videos nach Hause fährt“ unfassbar belanglos, da sie es nicht schaffen, Uhlmanns sonstigem Niveau gerecht zu werden. Sie wirken wie Platzhalter, die man hat einbauen müssen, einfach um mehr Material vorweisen zu können. Mundharmonika und Glockenspiel wirken hier nicht wie eine Ode an die Freiheit, sondern nicht durchdacht und unpassend. Im Vergleich dann doch sehr schade, aber auch ein textlich pointierter Künstler wie Thees Uhlmann kann Lieder wie „Römer am Ende Roms“ oder „Kaffee und Wein“ nur einmal schreiben.

„Danke für die Angst“ ist das Highlight der Platte. Hier schafft es Uhlmann in gewohnter Manier Gefühle, für die so oft die Worte fehlen, exakt aufzuschreiben. Kleinstadt- und Großstadtleben mischen sich hier zu einer perfekten Symbiose und lassen die Hörerschaft nochmal die diffusen Emotionen durchleben, denen man beim Erwachsenwerden eben immer begegnet: Angst und Unwissenheit sind dabei, aber auch Mut und Trotz. Ganz nach dem Motto „Wenn du schreiben kannst, dann schreibe. Wenn du singen kannst, dann sing.“ finden sich insbesondere in diesem Song vollkommene textliche Sicherheit und musikalisches Selbstbewusstsein, dass dem Musiker gerecht wird und die man in einigen anderen Songs schmerzlich vermisst.

Auffällig in der Konzeption des Albums sind Songs wie „Avicii“, „Was wird aus Hannover“ und „Die Welt ist unser Feld“. Hier wird Thees Uhlmann auf eine merkwürdige Art und Weise entweder der textlichen ("Was wird aus Hannover") oder der musikalischen Ebene gerecht ("Avicii"), lässt die jeweils andere jedoch hinunterfallen. Auch durch mehrmaliges Anhören finden diese nicht zueinander, was durch das Potential der Songs, noch ärgerlicher erscheint.

Insgesamt findet man sich in einem Zwiespalt wieder. „Junkies und Scientologen“ enttäuscht einerseits, weil beim Hören das Gefühl aufkommt, dass Thees Uhlmann seinem eigenen Anspruch zur Perfektion nicht gerecht geworden ist. Anderseits überzeugen bestimmte Songs auf voller Linie, insbesondere die, die Uhlmann-typisch kritisch auf den Zeitgeist schauen und keine Scheu haben, tiefe Gefühle zu thematisieren. Das Live-Potential wird hier das ausschlaggebende Kriterium sein.

Fazit

7
Wertung

Für einen detailverliebten Anspruch teils enttäuschend. Kürzt man „Junkies und Scientologen“ auf das Wesentliche, finden sich trotzdem einige hervorragende Songs für einen verregneten Roadtrip nach Hemmoor.

Danielle Dörsing
7.5
Wertung

Der Meister der Wortakrobatik liebt und lebt den wilden Taumel zwischen Subtilität und erschütternder Offenheit. Eine Steigerung war im Angesicht der grandiosen Vorgängerwerke kaum denkbar. Doch legt man seine überzogene Erwartungshaltung ab und gibt "Junkies und Scientologen" eine ehrliche Chance, so lässt Thees Uhlmann keine Minute ungenutzt verstreichen.

Marco Kampe