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Slothrust und "Everyone Else": Neo-Grunge neu definiert

Ironisch, dass ausgerechnet ein Re-Release zeigen muss, dass Grunge noch nicht tot ist.
Slothrust Everyone Else Cover

Gut, „Everyone Else“ stammt natürlich auch nicht aus der Blüte der 90er, sondern erschien in den USA ursprünglich 2016. Dass das dritte Album der New Yorker Slothrust nun auch bei uns zu haben ist, ist dennoch ein Segen. Denn das Trio beweist in nur zehn Songs, wie lebhaft, variabel und schön Grunge heute noch sein kann. So richtig wollen all diese Adjektive nicht zu einer Musikrichtung passen, die Kurt Cobain einst mit „Fuck You“-Attitüde und rotzig-scheppernder Produktion geprägt hatte. Aber Slothrust machen alles anders und tun gut daran. Ihre Version des Genres ist wesentlich bluesiger, stellenweise fast Pop-punkig oder gar jazzig.

Lieblingsbeispiel: „Mud“. Unheilvolle Akkordlinien leiten den Song gemeinsam mit dem Gesang von Leah Wellbaum ein, bevor der Track in ein herrlich surrendes und dreckiges Riff ausbricht. Nachdem sich dieses eine Weile lang etabliert hat, driftet der Song mit zunehmendem Tempo in eine funkige Melodie, die schon fast einen Polka-Rhythmus repräsentieren könnte. Zum Finale wird dieser wieder schrammeliger und kehrt zum Riff aus der Mitte des Songs zurück, nur wird dieses diesmal eine Spur dreckiger und punkiger inszeniert. All das wirkt zu keiner Sekunde konstruiert, sondern fügt sich butterweich in das Werk einer Band ein, die ihren Ideen völlig natürlich ihren freien Lauf lässt. Die Varianz der Songs auf „Everyone Else“ lässt sich in beinahe jedem Track finden. „Rotten Pumpkin“ groovt herrlich frech und unbeschwert, das direkt darauffolgende „Horseshoe Crab“ gibt sich dagegen melancholisch und weitläufig. Und der Opener „Surf God“ inszeniert seine Lead-Gitarre so, wie es Tom Morello in seinen wilderen Tagen getan hätte.

Der Charme von „Everyone Else“ liegt nicht nur darin, dass der Gesang von Slothrust aus dem Mund einer Frau kommt, denn so viel Empathie-Gefühle wie bei dieser Band könnten sich etwa bei den Blues Pills niemals entfalten. Vielmehr weiß das Trio aus New York ihre absolut spannende Musik trotzdem so bodenständig zu inszenieren, dass sie ohne weiteres neben Bands wie den Jazz-Indierockern People Like You spielen könnten. Und das ist bisweilen unheimlich viel wert.

Tourdates

Fazit

7.4
Wertung

Herrlich, wie anders eine vermeintlich angestaubte Musikrichtung heute noch klingen kann. Dabei klingen Slothrust gar nicht nach Revoluzzern. Sie sind einfach nur sie selbst.

Jakob Uhlig