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Pallbearer und „Heartless“: Die klanggewordene Inkarnation der Verzweiflung

Im Frühjahr leider von uns vergessen, rekapituliert Julius noch einmal die emotionale Wucht und Bedeutung dieses Doom-Metal-Meisterwerks.

Über Metal wurde bereits einiges geschrieben – die eskalativen Züge des Speed Metals, Nu Metal als Personifikation des kommerzialisierten Mainstreams oder Progressive Metal als Repräsentant der neuen Klassik. Was bisher recht wenig Beachtung fand, war die tiefe emotionale Bedeutung des Genres, das per Definition schon härter ist als Rock. Und dass gerade die Untiefen des Doom Metals ein Werk von bisher ungekannter Melancholie hervorbringen würde, überrascht umso mehr. Aber wer, wenn nicht Pallbearer. Denn ihr im März erschienenes drittes Album „Heartless“ ist nicht weniger als eines der stärksten Metal-Alben des Jahres.

Bereits „I Saw The End“ macht mit seinen wunderbar analog klingenden, mehrstimmigen Gitarrenläufen klar, welches Fass hier aufgemacht wird. Den unverkennbaren Gitarren-Downstrokes zeugen gleichzeitig von Wucht, Wärme und einer tiefen Beklemmung – ein Eindruck, der sich im Laufe des Albums noch vertiefen wird. Besonders Lead-Gitarrist Devin Holt entpuppt sich hier als eine Melodiemaschine, in seinen besten Momenten auf der Höhe eines David Gilmours oder, aktueller, Michael Krammers von Bilderbuch. Mit seinen teilweise minutenlangen Läufen und monumentalen Melodien erzählt er keine Geschichten, sondern Romane, spannt einen Spannungsbogen über den nächsten und redet dem gut aufpassenden Zuhörer geradewegs aus der Seele. Wie bereits viele Doom-Bands vor ihnen schielen Pallbearer unverhohlen auf den Prog der alten Schule, ohne jedoch jemals überladen zu wirken. Gekonnt verbinden die US-Amerikaner die Schwere des Doom Metals mit der Komplexität des Prog, die trotz allem in jeder Sekunde zugänglich bleibt.

Das spannendste an „Heartless“ ist aber der unvermeidliche Kitsch der mit dem Titel natürlich daherkommt. Die Melancholie dieser Musik ist eigentlich zu groß, um in Worte gefasst zu werden - das beste Beispiel: Das Epos „Lie Of Survival“, dessen schmachtende High-Gain-Gitarren um Befreiung flehen, dessen gnadenlos pumpendes Schlagzeug wie der Fels in der Brandung steht, der doch ob seiner Aufopferung eine Träne im Auge und ein erzwungenes Lächeln auf den Lippen hat. Zugute kommt „Heartless“ im Ausdruck seiner tiefen, emotionales Schwere selbstverständlich das naturgemäß langsame Tempo des Doom Metals. Diesem setzt vor allem „A Plea For Understanding“ die Krone auf, ein Zwölfminüter von gewaltiger emotionaler Vielschichtigkeit, dessen sinfonische Gitarren-Arrangements einem den Atem rauben wie eine Lawine des Verständnisses auf einem Berg der Fremde. Wenn Sänger Brett Campbell dazu Zeilen wie "The end remains the only god we can't deny" singt, kann man sich vor dem Schauer kaum retten, der einem über den Rücken läuft.

An dieser Stelle sei noch das Artwork erwähnt, das meiner Meinung nach mit zu einem der gelungensten der letzten Jahre gehört und das Gesamtkunstwerk der Platte grandios zusammenfasst: Ein Berg am Ende seiner Kräfte, auf der Suche nach Hilfe, von allen allein gelassen. An seiner Stärke ändert das nichts – es stellt lediglich den eigentlich selbstverständlichen Umstand dar, dass auch die Stärksten auf dieser Welt nur Menschen sind, die sich nach Wärme sehnen. Pallbearer verpacken diese Botschaft meisterhaft in Musik.

Fazit

9
Wertung

Die Schwere des Lebens durchfließt dieses Werk in allen Fasern, und Pallbearer nehmen sich in teils überlangen Songs Zeit, um den abgrundtiefsten Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Ich bleibe dabei: "Heartless", mein Rock-Album des Jahres, ist die großartige, klanggewordene Inkarnation der Verzweiflung. Es beschreibt in seinem tonnenschweren Doom-Metal das Gefühl des Zusammenbrechens, wenn einen nichts mehr halten kann - aber wie bei diesem Meisterwerk sei jedem nur geraten: Danach geht es einem besser.

Julius Krämer
5.7
Wertung

"Heartless" ist Licht und Schatten, und das nicht nur in seiner musikalischen Konzeption. Denn Pallbearer klingen immer dann am besten, wenn sie die unergründlich tiefen Gefilde ihrer Achtsaiter verlassen und sich Pink-Floyd'schem Schwebe-Prog hingeben. Die schwerwiegende Monotonie der Doom-Gitarren gehört mit Sicherheit zum emotionalen Konstrukt dieser Platte, ist im letztendlichen Resultat dann aber doch nicht zwingend genug. Die immer wieder aufflammenden Kontrastwechsel zeigen, dass "Heartless" wesentlich mehr Profil hätte haben können - letztendlich können diese lichten Momente aber nicht über ein insgesamt zu blasses Album hinwegtäuschen.

Jakob Uhlig