„Hell“ besteht aus insgesamt 18 Titeln und ist mit einer Stunde heutzutage - vor allem im Vergleich mit anderen Punkrockplatten - ein langes Album. Eingestimmt wird die Hörerschaft durch das Intro „E.V.J.M.F.“, dessen Titelbedeutung ein Insider der Band ist und unbekannt bleiben soll. Dass das Intro elektronisch daherkommt und von Trap-Beats bestimmt wird, kommt unerwartet und ist als Ärzte-typischer, kreativer Ausreißer nach dem Motto „Wir machen das einfach, weil wir Bock drauf haben“ zu bewerten. Wer das Album auf CD oder Vinyl hört, wird, im Gegensatz zu der Version auf den Streamingportalen, wie in einem Hörspiel übergangslos von einem Song in den nächsten begleitet. Sei es mit Tiergeräuschen, einer kleinen Unterhaltung zwischen den Bandmitgliedern, oder einem einfach weitersingenden Bela. Genauso geht es vom Intro endlich rein ins Album, hinein in den Song „Plan B“, der das dreizehnte Studioalbum der Band eröffnet. Jetzt auch so richtig mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und der unverwechselbaren Gesangstimme von Farin Urlaub. Garniert mit melodiösen Gitarrenriffs erklärt Farin das Erfolgsrezept von guter Rockmusik an praktischen Beispielen. Wer also anstrebt, Erfolg mit Punkrock zu haben: Genau zuhören!
Waren die letzten Alben von Die Ärzte im Bezug auf die Songanteile von Farin, Bela und Rod noch mehr oder weniger ausgeglichen aufgeteilt, scheint „Hell“ von Farins Stimme dominiert zu werden. Rod platziert mit „Polyester“ sogar nur einen einzigen, gegenüber all dem Plastik auf diesem Planeten kritischen, reinen Rod-Song auf der Platte. Dieser klingt leider austauschbar und so, als hätte man ihn auf dem vorherigen Album „Auch“ bereits gehört. Belas Beitrage zum Album wirken da deutlich interessanter: „Achtung: Bielefeld“ bedient sich am auch bei den Ärzten bereits vorgekommenen Thema Langeweile und stellt diese als Luxusproblem dar, nach dem sich beispielsweise eine Mutter in Aleppo sehnen würde. „Clown aus dem Hospiz“ verpackt den Umstand, dass Künstler in Einsamkeit und im Dunkeln am besten arbeiten können, in dem entgegenstehenden, fröhlichen Klängen. „Einmal ein Bier“ erzählt die Geschichte einer Transformation zur Kaltschorle und „Fexxo Cigol“ führt die teilweise sehr fragwürdigen Denkweisen von Verschwörungstheoretikern vor. Den Abschluss der Bela-Songs macht „Alle auf Brille“, ein typischer Oi-Song zum Mitgröhlen über das Hänseln eines Brillenträgers und dem dann einschlagenden Karma, selbst zur Sehhilfe gezwungen zu werden und von der Täter- in die Opferrolle zu rutschen. Leider kommt es einem auch bei Bela zuweilen so vor, als ließe die Kreativität im Songwriting etwas nach und als hätte man auch diese Ansätze irgendwo im Schaffen der Ärzte schon einmal gehört.