Die Ärzte und "Dunkel": Immer wieder was Neues

Auch wenn sie mit dem Albumtitel „Dunkel“, dem Vorgänger „Hell“ die schöne Doppeldeutigkeit stehlen, überzeugen Die Ärzte. Nur irgendwie vollkommen anders als erwartet. Aber was hat man eigentlich erwartet?

Was hat die Ärzte wohl befallen? Eine Form von Fieber? Der plötzliche Output der Band ist beinahe erschreckend, hätte man doch annehmen können, im Höheren Alter kommt es irgendwann nur noch tröpfchenweise. Doch dann kommt das zweite Album innerhalb eines Jahres. Zum zweiten Mal mit einer Laufzeit von einer Stunde Plus! Und wie die Ärzte nun mal so sind, ist auch dieses Album nicht makellos, denn die Songwriter-Rotation hat eben zur Folge, dass auch Songs von Rod zu hören sind. Was will man machen. Aber die Ärzte stehen seit jeher für Qualität und wie viele verschiedene Qualitäten das sind, haben sie wieder und wieder und wieder demonstriert. Sei es ihr Zugeständnis an den Punkrockopa, mit dem vielleicht besten Songtitel des Jahres („Karnickelfickmusik“), der auf der Tracklist kryptisch mit „KFM“ abgekürzt ist. Wer bei „Kraft“ nicht sofort Idles auf deutsch im Kopf hat, der kennt vermutlich Idles nicht. Allgemein scheint es, als ob die einzelnen Bandmitglieder neue Einflüsse für sich entdecken. In „Besser“ und „Erhaben“ entdeckt Farin Urlaub in Britpop-Manier ein neues Pathos für sich. Bela hingegen geht abstrusere Wege und lässt „Schweigen“ in einem Synthie-Gewand erstrahlen und man möge es nicht erwarten, doch es strahlt sogar gewaltig. Nun werden altgediente Fans sagen, „dass tut Chernobyl auch“, doch Die Ärzte inszenieren sich immer wieder auf eine andere Art, ganz ohne sich an einer aktuellen Popkultur anzubiedern.

Es ist ein vollkommen eigener Stil, ebenso wie Belas Ska-Nummer „Doof“. Und selbst das chansoneske „Danach“ fügt sich in ein großes Ganzes ein, trotz seiner stilistischen Andersartigkeit. Experimentell wird es in „Kerngeschäft“. Muten die Gesänge der Band schon in Sprechgesang an, lassen sie die Rapperin Ebow einen Part ihrem Handwerk nachgehen. Zugegeben, sie macht das dann doch besser als Bela.

Und dann ist da noch „Noise“. Als Single vorher veröffentlicht, brachte der Song große Erwartungen mit. Und auch wenn das Album diesen Erwartungen standhalten konnte, so ist dieser Track ein anderes Level an Genialität. Ein leichter 70s-Vibe zieht durch die Lande, die Älteren erinnern sich vielleicht dunkel an die Stiff Little Fingers. „Noise“ ist so etwas wie ein Power Ranger auf der Platte, denn es ist eines der wenigen Gemeinschaftswerke der besten Band der Welt. Mit „Dunkel“ gibt es sogar eine Weltneuheit: den ersten Titeltrack auf einem Ärzte-Album. Man freut sich im Alter eben über jedes neue erste Mal.

Die Frage, was man 2021 eigentlich von den Ärzten erwartet, sollte man sich eigentlich nicht stellen. Denn sie machen ja eh was sie wollen. Doch es bleibt immer substanziell. Die Ärzte haben ein unergründliches Erfolgsmodell gepachtet und „Dunkel“ ist der Beweis dafür.

Fazit

7.5
Wertung

Einerseits habe ich immer wieder hohe Erwartungen an ein neues Ärzte-Album, andererseits weiß ich nie so Recht, was ich erwarte. Hauptsache toll. Und was soll man sagen, enttäuscht war ich noch nie. Bei "Dunkel" abermals, die unterschiedlich bespielten Stile passen immer wieder aufs Neue zu dieser Band. Was können die Herren bitte nicht? Diese Perfektion ist fast schon unverschämt. Man würde sich wünschen, sie hätten ein Glasauge oder ein Holzbein.

Moritz Zelkowicz
7.7
Wertung

Die Ärzte sind schon so lange im Musikbusiness, dass man sich fragt, wie sie immer noch innovative Songs schreiben können, die sich von der restlichen Diskographie absetzen. Und trotzdem haben sie auch mit ihrem neuen Album direkt ins Schwarze getroffen. Natürlich darf der musikalische Protest gegen Rechts auch auf der neuen Platte nicht fehlen. So setzen die Ärzte mal wieder gekonnt Statements musikalisch in Szene und überzeugen mit ihrem gewohnten, individuellen Sound.   

Paula Thode