Der Jazz hat sich in den letzten Jahrzehnten einen Status erarbeitet, von dem quasi jede andere Musiksparte der Welt eigentlich nur träumen kann. Trotz einer Genrehistorie von über einem halben Jahrhundert können Neuveröffentlichungen auf ECM und Konsorten immer noch mit Innovation und neuen Akzenten überraschen. Jazz hat in der allgemeinen Betrachtung den Status von ersten Ausprägungen im Massenschlagertum zu einer ernstzunehmenden Kunstform geschafft und beschränkt sich trotzdem nicht nur auf den – dennoch vorhanden – Akademiker-Elfenbeinturm, sondern fasziniert auch diejenigen, denen selbst die „Harmonielehre für Dummies“ ein Buch mit sieben Siegeln ist. Und wohl als Ergebnis dieser Schranken- und Grenzenlosigkeit hat sich der Jazz auch ein diverses Publikum anerzogen, das für sein konstantes Überlegeben sorgen wird.
Die junge Jazzhörerschaft wirft den Blick aktuell besonders stark in Richtung London, wo eine Gruppe großartiger junger Talente vor allem deswegen den Zahn der Zeit besonders zu greifen schien, weil sie in ihrer aufregenden musikalischen Sprache eine Neuinterpretation der schon aus vergangenen Jahrzehnten bekannten Fusion aus Jazz und Hip-Hop wagten. Zu den maßgeblichsten Protagonisten dieses Konglomerats gehören zum Beispiel Tom Misch, Yussef Dayes oder Kamaal Williams – und eben Alfa Mist. Dessen neue Platte „Variables“ stellt ein Grundcredo vor, das gleichzeitig einen neuen Blick auf die eigene Diskographie des Künstlers werfen lässt: Denn der schon im Titel anberaumte Mut zur Varianz wird auf den zehn Tracks des Albums mehr als sichtbar. Schon im Opener „Foreword“ wird nämlich der Hip-Hop-Einfluss quasi vollständig marginalisiert, stattdessen entfaltet sich in einem völlig freidrehenden Sechsminüter ein unvergleichlich aufregendes und lebhaft atmendes Arrangement versammelt. Ästhetisch erinnert der Track vor allem mit seiner smooth pulsierenden Perkussion initial dabei fast an erste Gehversuche aus der Cool-Jazz-Ära, die sich aber zunehmend freierer Flüge öffnen.