Reviews

Fantastic Negrito und „Please Don't Be Dead“: Die Straße von Gibraltar

Nebenher einen Erstdurchlauf wagen und sich dabei anderen Aktivitäten widmen? Nicht mit „Please Don´t Be Dead“!
Fantastic Negrito Please Dont Be Dead Cover

Die teils abstrusen Songtitel („Transgender Biscuits“; bitte was?!) führen mit dem merkwürdig anmutenden Cover zu einer fragwürdigen Romanze, die den Magen eines Wiederkäuers erfordert, um sie in Gänze verdauen zu können. Gleichermaßen komplex klingt es aus den Lautsprechern, als mit „Plastic Hamburgers“ der erste von insgesamt 11 Songs aus den Lautsprechern tönt. „Break up this chain“ heißt es im Refrain und wirkt wie eine kreative Befreiung. Eine Befreiung, ganz in der Art eines DIY-Projekts.

Hochkarätiger Input wartet mit „Bad Guy Necessity“ auf die Hörerschaft, die spätestens jetzt merken sollte, dass sie es mit einer wahnwitzigen Spielfreude zu tun bekommen wird. Man lauscht gerade erst dem zweiten Lied und erlebt schon einen Stilwechsel, der den Opener infragestellt. Die soulige Stimmung wandert nach Belieben zwischen pop-affiner Aerodynamik und dem größtmöglichen Luftwiderstand durch sperrige Arrangements.

Mysteriös, gar heroisch, stellt sich „A Boy Names Andrew“ dar. Genie und Wahnsinn sitzen selten näher beieinander, als es hier der Fall ist. Gleiches gilt für „A Cold November Street“ -  die Begrifflichkeiten Stillstand und Monotonie scheinen dem Herren Fantastic Negrito gänzlich unbekannt zu sein. Welch ein verrückter, deplatziert erscheinender Mittelteil, der dem simpel gehaltenen Text und allen Erwartungen unbekümmert widerspricht.

In besonderem Maß fällt die intelligente Instrumentalisierung im Hintergrund auf. Es sind nicht die tonangebenden rhythmischen Elemente, die „Please Don´t Be Dead“ prägen.  Es sind Klaviereinlagen bei „A Letter To Fear“ oder Gastparts am Mikrofon, welche jeden Gospel-Chor bereichern würden. Es sind Überraschungen wie das gediegene „Dark Windows“ und dessen jazz-behaftetes Riffing. Und es sind Lieder, die mit einer Minute Spielzeit („Never Give Up“) mehr aussagen, als es der örtliche Radiosender in einer Stunde vermag.

Das musikalische Kapitel schließt sich mit „Bullshit Anthem“ – wurde im vorherigen Satz noch der Unterschied zum landläufigen Radioprogramm thematisiert, könnte dieses Lied problemlos den alltäglichen Berufsverkehr beschallen. Groovender Pop für die Tanzflächen der Republik.

In der Konsequenz: Wäre der Rag'n'Bone Man Marokko und die Prophets of Rage Spanien, so treffen sie sich an der Straße von Gibraltar – um gemeinsam „Please Don´t Be Dead zu lauschen.

Fazit

7.5
Wertung

Was nun? Für die Wertung zum Würfel greifen? – Mich holt es zwecks persönlichem Geschmack nicht vollends ab, gleichwohl gilt es, die Liebe zur Kunst und das gewaltige Maß an Grenzgängertum zu würdigen.  

Marco Kampe