Doch die englische Fanszene, nicht zuletzt der gesamte Fußball, bekam 1989 einen harten Schlag verpasst. Es kam Hillsborough. Bei einer Massenpanik im Stadion in Sheffield sterben fast 100 Menschen und mehr als 700 werden verletzt. Daraufhin wird der „Taylor Report“ in Auftrag gegeben, der den angeblichen Kern des Übels im Keim ersticken sollte: den Hooliganismus. Der hatte mit der Katastrophe nichts zu tun, aber Lord Taylor und Premierministerin Thatcher waren seit jeher große Feinde des Volkssports der Briten. Dass nicht die Fans an der Tragödie die Schuld trugen, wurde erst 27 Jahre später festgelegt, doch dieses Thema würde viele weitere Kolumnen füllen. Fakt ist: Hillsborough war der willkommene Anlass hart durchzugreifen und tiefschürfende Veränderungen für die Fans zu treffen. Und so wurden in allen großen Stadien des Landes die Stehplätze abgeschafft und weitreichende Sicherheitsvorkehrungen eingeführt. Allerdings war die Umwandlung in reine Sitzplatzstadien ein harter Schlag. Rogan Taylor von der FSA (die Namensgleichheit mit dem Report ist für ihn besonders niederschmetternd) hat dafür keinerlei Verständnis. „In der Kirche steht man zum Singen auch auf. Allein schon aus anatomischen Gründen.“ Und das ist gar nicht soweit hergeholt. Man merkt einen deutlichen Unterschied zwischen den Gesangsleistungen in „Sitzplatzstadien“ und „Stehplatzstadien“. Der Vergleich kann leicht getroffen werden. Man muss nur die Stadien mit hohem und mit niedrigerem Sitzplatzanteil in Deutschland vergleichen.
Aber die Frage ist immer noch nicht geklärt. Warum wird gesungen? Warum glauben über 80% der Bundesligaspieler an einen Heimvorteil? Der Sportwissenschaftler Bernd Strauß fällt ein ernüchterndes Urteil: "Das Wesentliche ist der Glaube daran, dass es einen Heimvorteil gibt.“ Es ist also alles nur Placebo? Ganz so schlimm ist es dann doch nicht, sagen die Musikwissenschaftler Reinhard Kopiez und Guido Brink, die dem Thema Ende der 90er ein hervorragendes Buch widmeten. Sie unterscheiden bei den Fans vier Beweggründe: Anfeuern der Mannschaft, Huldigung und Ehrung von Spielern und oder Verein, ein Ventil für Anspannung oder aber die Schmähung von Spielern, Vereinen oder anderen Personen, wie zum Beispiel dem Schiedsrichter. Ein herrliches Beispiel, wie das Motiv der Schmähung perfekt in Szene gesetzt wurde: „Schiri, wir wissen wo dein Auto steht! Gaudino hat's, Gaudino hat's.“ Das wurde zu einer Zeit vorgetragen, als gegen den Frankfurter Spieler Maurizio Gaudino wegen Autoschieberei ermittelt wurde.
Aber trotzdem sieht man sie am Wochenende zu Tausenden. Fans. Mal mehr, mal weniger verkleidet. Geschminkt oder ungeschminkt. Und auch wenn im Stadion, besonders in den Stehplatzblöcken, meist heterogene Gruppen aus den verschiedensten Gesellschaftsgruppen stehen, sind sie alle verbunden. Und nicht mal unbedingt durch die Liebe zu einem Verein. Sie sind verbunden durch ein starkes Gefühl. Und dieses Gefühl ist wahrscheinlich der wichtigste Grund für das Singen im Stadion. Das Gefühl, durch das Singen gemeinsam zu wachsen und im großen Chor größer zu werden als der Andere. Denn durch das gemeinsame Singen entsteht ein "Wir" und damit auch ein "Die". Und dazu kommt eben, dass die meisten Fans gar nichts von Kopiez, Brink, Strauß und wie die ganzen Experten heißen wissen, und sich sicher sind, dass sie ihr Team zum Sieg singen können. Und ich muss ehrlich sein, am Ende singe ich selber mit. Und jetzt alle: „Die Legende lebt...“