Im Kreuzverhör

Im Kreuzverhör #48: Buckethead - "Enter The Chicken"

Einmal monatlich stellt sich die Redaktion gemeinsam Platten außerhalb ihrer Komfortzone. Dieses Mal wirft Mark "Enter The Chicken" von Buckethead in den Ring.

„Eine offizielle Biografie gibt es nicht, zu seinem Gesamtkunstwerk gehört die Behauptung, er sei in einem Hühnerstall geboren und von Hühnern aufgezogen worden“ (Wikipedia). Wenn das keine Basis für ein Kreuzverhör ist, welche denn dann?! Nur wie bringe ich der Redaktion UND euch Lesenden jetzt näher, um was es sich hier dreht? Versuchen wir es: Buckethead ist der Künstlername des Gitarristen Brian Patrick Carroll, über dessen Privatleben eigentlich niemand etwas weiß, der ausschließlich maskiert auftritt und dabei meistens eine weiße Gesichtsmaske und einen Plastikeimer auf dem Haupt trägt. Falls er ein Interview gibt, spricht er mit einer Handpuppe von sich in der dritten Person und er war am heiß diskutierten Guns N‘ Roses Werk „Chinese Democrazy“ beteiligt, auch wenn er die Band im Jahr 2004 wieder verließ. Dieses GN'R-Album, welches ich nach wie vor sehr schätze („St. Anger“ von Metallica übrigens auch! Denkt doch alle was ihr wollt), lenkte auch meine Aufmerksamkeit auf den Mann mit dem Eimer auf dem Kopf.

„Enter The Chicken“ erschien im Jahr 2005 beim Label Serjical Strike von Serj Tankian und ist eine Platte voller verschiedenster Musiker:innen und Stilrichtungen. Serj greift nicht selten selbst zum Mikrofon und fährt die Achterbahn zwischen dem Opener „We Are One“ als härtere Nummer mit teils chaotischen Gesangs- und Gitarrenparts und „Waiting Hare“ als Ballade, die vor allem in Momenten nur für mich regelmäßig etwas in mir auslöst, munter mit. „Running From The Light“ erzielt einen ähnlichen Effekt und schlägt größtenteils in die ruhige und melancholische Kerbe, „Coma“ geht sogar einen Schritt weiter und bringt den psychedelischen Aspekt mit in dieses Album ein. „Botnus“ und „Funbus“ versorgen die Anhänger:innen der Musik mit nicht so klarem Gesang mit Stoff. Unter dem Strich ist es für mich genau diese Mischung, die „Enter The Chicken“ so interessant und an vielen Stellen wirklich faszinierend macht. Es fiel mir zu einer Zeit in die Hände, in der auch System Of A Down ein regelmäßiger Begleiter meiner musikalischen Konsummomente war, woher ich durch die vielen Auftritte von Serj Tankian und dem oft zumindest chaotisch wirkenden Gitarrenleistungen von Anfang an offen war. Je öfter ich "Enter The Chicken" dann hörte, desto mehr freundete ich mich mit all seinen Facetten an. Auch wenn mich "the Hand" regelmäßig etwas verstört zurücklässt. Unter dem Strich darf aber auch nicht vergessen werden, dass es sich hier um ein Soloprojekt eines Gitarristen handelt und man mit Riffs und Soli nahezu überschüttet wird. Höchste Zeit also, "Enter The Chicken" 17 Jahre nach seinem Erscheinen mal wieder aus dem Plastikeimer zu zaubern.

Ein Gitarrenalbum mit wilden Riffs, unvorhersehbaren 180-Grad-Wendungen und Schwindelgarantie, und Serj Tankian singt? That just sounds like System of a Down with extra steps! Ganz so einfach ist das bei "Enter Chicken" von Buckethead allerdings nicht. Klar, allein dadurch, dass Serj öfter mal singt und das ganze auch noch über sein eigenes Label rausbringt, schwingt immer so ein kleines bisschen SOAD-Vibe mit, aber die Riffs kommen dann doch ein wenig technischer daher. Und bei aller Liebe für das armenische Quartett, solche Stilbrüche machen auch die nicht. Vor allem dann, wenn Buckethead sich in die balladigeren Bereiche der Platte bewegt, kann der Typ mit dem Eimer auf dem Kopf auch musikalisch ein wenig Alleinstellung produzieren. Auch wenn die schiere Kreativität und Varianz dieses Albums durchaus bemerkenswert ist, für meinen ganz persönlichen Geschmack ist das dann doch, um eine andere Band zu zitieren, "ein kleines bisschen zu viel, von allem." Uuuuund hier noch n solo, uuuund hier noch n bisschen schneller. Und ganz generell einfach viel. Bisschen zu viel.

Und Menschen wünschen sich noch immer ein neues Album von SOAD? Also ich verstehe eh nicht, warum man aus der Richtung mehr Musik braucht, aber Geschmack ist ja verschieden. Fangen wir aber mal von vorne an. Als ich dieses Album als Nachricht bekam, war zuerst einmal der Gedanke da, dass alles daran absolut großartig ist. Cover, Name, Artist, der Knaller. Relativ neutral mache ich also das Album an und erwarte eigentlich ein sehr eigenes Punk-Album, welches keine Sau kennt. Entgegen geworfen wird mir dann aber ein System of a Down Album, welches allerdings mehr Wendungen hat und mir sogar irgendwo gefällt? Überraschend. Oftmals denke ich mir auch einfach nur "Wat?". Denn so wenig wie mir die SOAD Seite der Scheibe gefällt, so sehr mag ich es, wenn die andere Seite rauskommt. Als Beispiel der Song "Waiting Here", welcher mit Shana Halligan einen starken Gegenpart zu Serjs Stimme bildet. Dass der seine Stimme dann noch so wunderschön anpasst, macht daraus eine der großen Überraschungen des Jahres für mich, auch wenn das Album schon ein ganzes Stück älter ist. Und so ist es immer wieder. Es langweilt mich mit Songs wie "We Are One" und beeindruckt mich dann wieder mit einem "Coma". Ich weiß nicht, was ich in Gänze davon halten soll. Ich bin einfach wie eine Stimmungsschwankung, wenn ich diese Platte höre.

Bei manchen Platten fragt man sich ja, warum man sie eigentlich auf teuer erstandenen 300-Euro-Sennheiser-Kopfhörern hört. Einen gewissen Charme hat diese Ende-90er-bis-Mitte-2000er-Nu-Metal-Rumpel-Ästhetik ja schon, aber oftmals hat sie auch dazu geführt, eigentlich bessere Alben insgesamt eher abzuwerten. Man denke da etwa an die ersten beiden Alben von System of A Down, bei denen ein "Sugar" durch seine Trockenheit eindeutig gewinnt, ein "Chop Suey!" aber unter anderen Umständen vielleicht sogar noch mehr könnte. Ähnliches frage ich mich bisweilen beim Genuss von Buckethead, wenngleich trotz Allem am Ende eine tolle Platte steht, die unter anderem eng mit Serj Tankian von ebenjenen System Of A Down verbunden ist. Buckethead selbst schreddert wie bescheuert durch teilweise wirklich halsbrecherisch gute Songs mit verschiedensten Gastsänger:innen. Klasse ist aber auch das eher sphärische und vokal geprägte "Coma", das an manchen Stellen sogar volkstümliche Melodien einpflegt - noch ein Wink zu Tankians eigener Schrammelbude. Alles in allem ein positives Erlebnis hier im Kreuzverhör. Wird Zeit, dass ich mal wieder viereinhalb Stunden Stille oder so einreiche, um meine Redaktionskolleg:innen angemessen zu quälen.

Fazit