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Wenn einer lügt dann wir und "Betrug in den Charts": Ist Pop gescheitert? Von wegen!

In dreizehn Minuten schaffen es Wenn Einer Lügt Dann Wir das Musikbusiness und die auf Außendarstellung und Zufriedenheit der Community bezogene Ausrichtung des eigenen Lebens zu entlarven. Unterlegt mit einem Sound aus unterschiedlichen Genres und verzerrter Stimme erwartet die Hörer:innen ein ungestümer musikalischer Mix.

Pop-Punk? Nein, irgendwie eine irreführende Genre-Bezeichnung für den Sound der drei Musikerinnen aus Münster. Mag dies auf das Debütalbum „Ironie oder Schicksal“ noch eher zutreffen, so liefern Johanna Bauhaus (Bass), Garlic Johannson (Gesang, Gitarre) und Linder Bender (Drums) mit ihrer EP „Betrug in den Charts“ gerade in der Instrumentierung einen abwechslungsreicheren Sound - der sie sogar in die Charts katapultiert.

Das Zusammenspiel von Bass, E-Gitarre und Drum steht dabei im markanten Gegensatz zur Stimme. Der Sound ist mal poppig, mal punkig und dann wiederum klingt die Gitarre nach Grunge. In der Regel trifft der Wechsel einen überraschend wie in „Olanzapin (Du bist nicht müde 2)“ oder auch in „Scheitern ist Pop“. Aber gerade die Verflechtung von widersprüchlichem, unerwartetem Sound und dem Autotune-gesteuertem Gesang macht die Musik der Band interessant. In „Petra Plottwist“ wird deutlich, dass die Verzerrung des Gesangs einen Song mitträgt.

Wenn der Opener loslegt und der beginnende Gitarrensound von der durch Autotune verzerrten Stimme Garlic Johannsons abgelöst wird, stellt sich zu Beginn bei einigen Hörer:innen sicherlich Verwirrung ein. Bei genauerer Betrachtung wird aber schnell erkennbar, dass das alles einen Sinn ergibt. Die tiefgreifenden und bissigen Texte, die sich mit dem Musikbusiness, der Jagd nach dem Hit oder dem Hinterfragen der „Community“ auseinandersetzen, schaffen es, wie im Debüt authentisch zu erzählen. Somit wird das Business als Betrug wie im Opener „Betrug in den Charts“ entlarvt. Die Themen der Texte spiegeln sich auch im Cover EP wider. Die Auszeichnungen Bambi und Echo, achtlos auf dem Boden gestellt. Im Sessel ein erschöpfter Mensch, aufgezehrt von der fortwährenden Jagd um Geld, Anerkennung und eine niemals versiegende Kreativität, während die Musikindustrie und die Konkurrenz nur darauf warten, zuzustoßen. Oder stoßen die Drei sogar selber zu? Aber letztendlich diesen Zustand zuzugeben und ihn auszunutzen, das machen sich die drei zu eigen: Die Musikerinnen der Band haben ihren eigenen Weg schon fest im Blick, wenn sie sich augenzwinkernd perspektivisch festlegen, irgendwo zwischen Feuilleton und hochdotiertem Rock am Ring-Auftritt zu landen. Unterstützt werden sie dabei vom Ladies & Ladys Label, welches der männerdominierten Label-Welt und Festival- und Konzertkultur den Kampf ansagt, ohne diese auszuschließen.

Bleibt am Ende die schwere Aufgabe, diese Band in einen Kontext mit anderen Genres oder Künstler:innen und Bands zu bringen. Die üblichen Streamingdienste bieten da keine große Hilfe. Sie verorten die Band zwischen Blond und Akne Kid Joe. Ebenso werden sie auch zusammen mit LIN und Shitney Beers genannt. Was sagen die krampfhaften Versuche einer Kategorisierung über die Band aus? Genau, es gibt keine Schublade für Wenn Einer Lügt Dann Wir: Sie kreieren ihren eigen Sound.

Fazit

7.5
Wertung

Ich musste mich an die Symbiose von Autotune und grungigem Pop-Punk erst gewöhnen, aber der grunzige Abgesang des Openers überzeugte mich letztlich. Der Wechsel zwischen verschiedenen Genre-Spielarten innerhalb der Songs und die gut erzählten und ebenso bedeutungsvollen Texte ziehen die Band aus Münster aus der Ecke der Geheimtipps. 

Frank Diedrichs