Unter dem Radar

Unter dem Radar #36: Wenn einer lügt dann wir

Irgendwie haben Wenn Einer Lügt Dann Wir es geschafft, den großen Bruch 2021 zu überstehen. Mit veränderter Besetzung, neuer Produktionserfahrung, aber immer noch selbstbestimmt, geht die Band in ihre Zukunft, die sie nicht vom Majorlabel oder vom Mainstream bestimmen lassen möchte. Den letzteren möchten sie am liebsten durchbrechen.

Heimat: Münster

Genre: Indie-Pop

Label: Ladies & Ladys

Veröffentlichungen: Am Anfang war alles Scheiße (EP, 2018), Ironie oder Schicksal (2021)

Für Fans von: Kapa Tult, Blond, LIN, Sorry3000

Zuhause und sozialisiert in verschiedenen Städten des Ruhrpotts, haben Garlic Johannsen und Johanna Bauhus ihren beruflichen und privaten Lebensmittelpunkt mittlerweile in Münster gefunden. Dort hat auch ihr eigenes Label „Ladies und Ladys“ seinen Sitz.

Angesprochen auf den Bandnamen, geben Johanna und Garlic umwunden zu, dass dieser eine Art Schutzschild nach außen übernimmt. Auch wenn die Texte überwiegend biografischen Bezug haben, ist es für beide wichtig, dass nur „wir wissen, wann wir lügen und wann nicht“ und dass nicht alles „mit einem Grain of Salt genommen werden“ darf.

Gleich zu Beginn räumen Johanna und Garlic mit der mystischen Aussage auf, sie stünden seit ihrer Gründung vor dem großen Durchbruch. Kein(e) Musikjournalist:in, kein(e) Kritiker:in sondern die Band selbst forcierte mit dieser Aussage diesen Status. Aber diese Aussage beschreibt auch ganz gut, wo sich die Band selbst sieht. Sie schwankt, was ihren Wunsch nach Erfolg, Reichweite und Fanbase angeht. „Es ist ein richtiges Auf und Ab. Es gibt Monate, da denke ich, dass könnte richtig was werden, […], let’s go“, merkt Garlic an, „und dann gibt es Monate, wo ich am liebsten nur in AZs für nen Kasten Bier spielen will.“ Irgendwie merkt mensch, dass sie nicht Teil des ganzen Zirkusses sein wollen; sie wollen „einfach nur Mucke machen, um der Mucke willen.“ Es spiegelt sich aus dieser Aussage der Wunsch heraus, selbst zu bestimmen, wann etwas als Durchbruch zu bezeichnen ist, nicht ein Major-Label, die sämtliche Abläufe immer auch aus monetärer Perspektive betrachten müssen.

Die erste EP „Am Anfang war alles Scheiße“ sieht Garlic Johannson eher als Prequel zum Debüt „Ironie oder Schicksal“. Sie stellt die ersten Songwriting-Versuche dar. Garlic platziert die Songs an den Anfang der persönlichen und bandeigenen Biografie und Evolution. Das Songwriting fand mit Melissa statt. Erst 2018 kam Johanna Bauhus hinzu. Bis zum Debüt-Album „Ironie oder Schicksal“ lag das Songwriting in den Händen von Garlic und Melissa, die auf immenses Archiv an eigenen Texten und Gedichten zurückgreifen konnte. Die enge Zusammenarbeit der beiden Freundinnen endete 2021 plötzlich kurz vor dem Release des Debüts „Ironie oder Schicksal“, ein bezeichnender Titel. Für einen kurzen Augenblick drohte alles wegzubrechen. Mit Linda Bender bot sich aber eine Schlagzeugerin an, die weggebrochene Position zu übernehmen. „Ja, das war die Rettung“, bemerkt Johanna. Aber auch der Gedanke, zwei Jahre intensiv an diesem Album gearbeitet zu haben, das Studio, in dem aufgenommen wurde, selbst mit aufgebaut zu haben und generell dieser intensive DIY-Charakter der Entstehung führten zu dem Entschluss, den Release durchzuführen.

Der Autotune-Effekt begleitet die Band vor allem live schon recht früh, kam aber aufgrund „technischer Hürden“ bei den ersten Aufnahmen kaum zur Nutzung. Für Garlic stellt Autotune keinen Fun-Effekt dar, sondern ist bewusst gewähltes Stilmittel.

Die aktuelle EP „Betrug in den Charts“ verdankt ihren Titel einem gleichnamigen Hörspiel der Serie „Die Drei !!!“. Garlic wünschte sich so sehr einen Song, der diesen Titel trägt, Bruno Schulz, der die Band als Live-Schlagzeuger und im Songwriting neuerdings unterstützt, tat ihr den Gefallen. Die fünf Songs der EP sind in den Wochen vor der Aufnahme entstanden, gerade rechtzeitig, bevor es ins Studio ging. Die EP wurde unter Bedingungen aufgenommen, die gegensätzlicher zum Debüt nicht sein könnten. In den legendären Berliner Hansa-Studios wurde die Band begleitet von den Produzenten Zebo Adam und Tim Tautorat professionell durch den Aufnahmeprozess getragen. WELDW konnten die Business-Seite und Hochglanzcharakter einer Produktion für sich erfahren. „[Es] hat sich wie ein Durchbruch angefühlt“, merkt Galic an, angesprochen auf den Stellenwert dieser Aufnahme, betont sie aber gleichzeitig, dass beide Aufnahmeerfahrungen wichtig waren.  Der Aufnahmeprozess war rückblickend betrachtet „künstlerisch gesehen ein superwichtiges Ereignis […] und deswegen fühle ich mich gar nicht unter dem Radar“, merkt Garlic mit einem augenzwinkernden Seitenhieb auf das Format „Unter dem Radar“ an. Für ihr nächstes Album wünschen sie sich aber eher etwas „Antizyklisches“, mehr mit „demomäßigem Anstrich.“

Auf diesem Weg stehen aber Gigs und Festivals auf dem Programm, denn „wir haben immer Bock zu zocken!“, äußert sich Garlic zu den nächsten Vorhaben. Wobei die Aussicht auf neue Songs oder gar ein neues Album gebremst wird. „Wir haben Bock auf schreiben“, wirft Garlic ein, aber obwohl mit Linda und Bruno zwei Schlagzeuger:innen die Band im Studio und auf Tour unterstützen und sich auch am Songwriting beteiligen, bleibt aufgrund der räumlichen Entfernung manchmal gerade die Zeit, den nächsten Gig vorzubereiten.

Der Durchbruch der Band zieht sich abschließend betrachtet wie ein roter Faden durch das Interview mit Johanna und Garlic. Beiden ist bewusst, dass sie andere Musik machen müssten, um im Mainstream zu landen. Aber genau dies stellt keine Option dar. Vielmehr sieht sich Johanna, auch in ihrer Label-Arbeit, als „Lobbyistin für bessere Musik“. Und das Ziel ist klar formuliert: „Wir verändern erst das System […] und dann passt sich die Mehrheit uns an oder wir bleiben halt so klein.“