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Raised Fist und “Anthems”: Heute hier, morgen weg

Auf ihrer siebten LP versucht sich das schwedische Hardcore-Gespann Raised Fist an gitarrengetragener Ohrwurm-Manufaktur. Sie scheitern allerdings an einer ähnlichen Problematik wie emissionsfreie Autos.

Kaum eine Debatte birgt in jüngster Zeit so viel Sprengstoff und Polarisierungspotenzial wie die Diskussion um schadstofffreie Mobilität. Das Hauptproblem der modernen Alternativen zum Verbrennungsmotor ist dabei die Stromspeicherung. Kurzer Exkurs: Bei benzin- oder dieselbasierten Motoren wird die für den Antrieb benötigte Energie durch die Verbrennung des jeweiligen Kraftstoffs erzeugt. Bei Elektroautos fällt dieser Kraftstoff weg, deshalb muss der Strom irgendwo gespeichert werden. Hier liegt das größte Problem der E-Mobilität, die für die Speicherung erforderlichen Akkus sind nämlich zum einen sehr schwer, und zum anderen durch die bei der Herstellung verwendeten Bestandteile wie Lithium sehr umweltschädlich. Eine vielversprechende Lösung dieses Problems sind sogenannte Brennstoffzellenautos. Diese funktionieren nicht mit Akkus, der Strom wird stattdessen in Form des chemischen Elements Wasserstoff gespeichert. Der wird dann verbrannt und die dabei freiwerdende Energie treibt den Motor an. Der Clue: Das Ganze passiert emissionsfrei, denn bei der Verbrennung von Wasserstoff entsteht kein CO2, sondern H2O, also Wasser. Klingt erstmal wunderbar, wäre da nicht ein entscheidendes Problem: Wasserstoff ist als chemisch gesehen “kleinstes” Element des Periodensystems derart flüchtig, dass es bisher nicht gelungen ist, Tanks zu bauen, aus denen er nicht entweicht. Egal also, wie voll man den Tank macht, nach kurzer Zeit verschwindet der Wasserstoff.

Und genau hier liegt das Problem von “Anthems”: Beim ersten Hördurchgang wissen die treibenden Riffs mit Unterstützung der stampfenden Drums und Alexander Hagmans kratzigen Vocals noch zu unterhalten. Die sloganartigen Hooks gehen gut ins Ohr und spätestens nach dem ersten Chorus weiß jeder, an welchen Stellen er mitzusingen und die Fist zu raisen hat. Während “Anthems” dann aber so weiter dahinprügelt driften die Gedanken schnell ab, und ehe man sich versieht ist das Album auch schon vorbei und der Wasserstofftank wieder leer. Und außer ein paar Zeilenschnipseln á la “We are Raised Fist, and this is how it is!” aus dem Representer-Track “Murder” bleibt nicht wirklich viel im Kurzzeitgedächtnis. Also Runde zwei, und diesmal bitte besser hinhören! 

Doch schon nach den ersten paar Songs zeichnet sich ab, dass sich in “Anthems” nicht gerade die Tiefen des Mariannengrabens auftun. Die Texte der Platte warten nämlich mit einer ähnlichen Easy-Listening-Attitüde auf wie die Instrumentierung. Zwar schießen Songs wie “Anthem” deutlich gegen Alltagsrassismus und auf “Oblivious” bekommen auch Klimaleugner ihr Fett weg, das sind aber alles Konsens-Statements, die jeder links-alternativ angehauchte Punk- und Hardcore-Fan bedenkenlos und unreflektiert abnicken kann. Hier wurde scheinbar zu Gunsten der durchaus vorhandenen Ohrwurmqualitäten auf verkopfte Wortklaubereien verzichtet, was schade ist, da einige Songs durchaus Potenzial für die Verarbeitung übergeordneter Gedankengänge gehabt hätten. So spricht beispielsweise “Unsinkable II” den Social-Media-induzierten Schönheitswahns an, verwässert die Thematik allerdings zu einer melancholischen Empowerment-Hymne und kratzt so nur an der Oberfläche. Und so bleibt auch nach vermehrten Annäherungsversuchen von "Anthems" nicht viel mehr als geradlinige Aufputschmusik mit unkomplizierten Lyrics.

Fazit

4.8
Wertung

“Anthems” ist nicht per se ein schlechtes oder misslungenes Album, bleibt aber in vielen Fällen hinter dem eigenen Potential zurück und zwingt eher durch phrasenhafte Mitsing-Hooks als durch musikalische Innovation zum Aufhorchen.

Kai Weingärtner
6.5
Wertung

Die Stimme von Raised-Fist-Frontmann Alexander Hagman gehört noch immer zu den markantesten und echtesten im Hardcore-Game. Die Schweden wissen dieses Qualitätsmerkmal stark in Szene zu setzen und gerade die bisweilen in Parkway-Drive-Manier inszenierte Breitarmigkeit steht der Band außerordentlich gut. Dennoch begnügt sich "Anthems" bisweilen zu oft mit einer Hardcore-Klischee-Struktur, die einen wirklich großen Wurf verhindert.

Jakob Uhlig