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Radio Havanna und „Veto“: Mit 40 Sachen in die Zukunft

Radio Havanna präsentieren mit „Veto“ bereits ihr siebtes Album. Anstatt verflixt zu sein, überzeugt die Platte auf ganzer Linie durch knallhart vertretene Meinungen sowie durch eingängige Texte und Melodien. Die Palette reicht dabei von Politik und Party über Mopeds bis hin zu sehr persönlichen Erlebnissen.

„Ein Veto ist das Einlegen eines Einspruches, das innerhalb eines formell definierten Rahmens geschieht und damit Entscheidungen aufschieben oder ganz blockieren kann.“ So definiert es Wikipedia. Radio Havanna legen mit ihrem neuen Album ein solches Veto ein. Ein Veto gegen das Leben in Angst, gegen aktuelle Entwicklungen im sozialen und politischen Bereich und gegen die Polarisierung der Bevölkerung. Radio Havanna brüllen auch auf „Veto“ ganz laut „STOPP!“. Auf den ersten Blick also alles wie immer. Wer sich mit den Berlinern bereits beschäftigt hat, kennt das Grundprinzip der Musik: Politisch klar positionierte Statements und Inhalte. Das alles wird dargeboten in Punkrocksongs, die man meistens nicht nur laut mitsingen kann, sondern vor allem WILL  oder sogar MUSS.

Vergleicht man „Veto“ zum Beispiel mit dem Vorgängeralbum „Utopia“, machen Radio Havanna auf dem Nachfolger wenig anders als zuvor. Die Band bleibt der vorgezeichneten Linie rein musikalisch treu, setzt in den Texten weiter Nadelstiche und prangert weiter an. Da „Utopia“ bereits einiges richtig gemacht hat, kann „Veto“ schon aus Prinzip nicht sehr viel falsch machen. „Coole Kids“ erzählt von einem zufälligen Treffen auf einem Festivalgelände (auch diese Ausgangssituation ist für die „Utopia“-Hörer nichts neues), aus dem sich aufgrund der fünf magischen Worte „Coole Kids haben kein Vaterland!“ Dosenstechen und Trichtersaufen bis zum Sonnenuntergang ergibt. In „Antifaschisten“ wird auf emotionale Weise die Beziehung zu einem alten Freund beschrieben, der im Laufe der Jahre „falsch abbog“ und die Szene wechselte. Auch „Hass ohne Verstand“ ist bandtypisch politisch gehalten. Die Riffs des Songs lassen sich beinahe im Metal ansiedeln und geben dem Song und den besungenen Situationen die richtige Stimmung.

Stellt man die Frage, was „Veto“ denn nun besonders und anders macht als die bisherigen Werke der Gruppe, ist die Antwort darauf die persönliche Note der Songs. Sei es bei den Gefühlen des „Herzschmerzsäufers“, der eine vorangegangene Trennung mit der weit verbreiteten Konsequenz Alkohol bekämpft, bei den Erzählungen aus der Jugend in „Helden“, oder wenn mal wieder alles schief geht und einen die Punkmusik am Leben hält, wie in „Ich komm klar“. Die Ich-Perspektive der Songs vermittelt ein Wir-Gefühl und lässt die Hörerschaft eindrucksvoll am Erlebten teilhaben.

Radio Havanna belassen es jedoch nicht beim Erzählen aus der Vergangenheit und dem Anprangern der Gegenwart. Das Thema Aufbruch und der Blick in die Zukunft sind ebenso im Album verankert wie die vorangegangenen Punkte. „Hungerturm“ thematisiert den Ausbruch aus einer sozial schwierigen Gegend und den Weg in ein neues Leben. „Chaoskind“ stellt die in Zeiten von Photoshop und digitaler Fake-Realität klar: „Lass dir nie sagen wer du bist und was du kannst! (…) du packst das schon!“. Das Thema Revolution kommt in „Schatten“, dem letzten Titel auf „Veto“ zur Sprache und hinterlässt mit dem Verstummen des letzten Tons ein Gefühl von Aufbruch und Veränderung.

Absolut erwähnenswert und Garant für einen Ohrwurm, der wie mit Zweitaktöl geschmiert in die Gehörgänge geht, ist zudem der Song „Simsonpunk“. Für die, die es nicht wissen: Simson hat in der DDR unter anderem Mopeds hergestellt, die noch heute in der ganzen Welt Kultstatus genießen. Wer selbst mal auf einer Simson gesessen und sich bei 40 km/h den Wind um die Ohren pusten lassen hat, geht in dem Song voll und ganz auf. Die Geschichte erzählt vom „Simsonpunk mit roten Haaren“ und dem alltäglichen „Chaos auf den Kleinstadtstraßen.“ Eine Liebesgeschichte über 4 PS und sämtliche Anekdoten, die zum Leben mit Moped dazugehören.

Fazit

8.5
Wertung

Radio Havanna bleiben sich auch im Jahr 2019 absolut treu. Ohne viel Veränderung überzeugt „Veto“ durch die bereits bekannten Stärken der Band. Klare Statements, sauberer Punkrocksound mit unglaublich vielen eingängigen Melodien. Warum den Weg verlassen, wenn er doch gut ist wie er ist?

Mark Schneider