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Montreal und "Am Achteck nichts Neues": Von wegen!

Unpassend zum Albumtitel "Am Achteck nichts Neues" bringen Montreal ihre neue Platte mit eigenem Bier und achteckiger Vinylsingle im Gepäck auf den Markt. Die Metapher hinter dem Namen ist natürlich eine ganz andere und doch steht wie immer die Frage im Raum, wie sich ein neues Album definieren wird. Wir haben reingehört!

Auch wenn vielleicht zu viele Reviews im World Wide Web mit diesen Worten beginnen, kommt man bei der Veröffentlichung von "Am Achteck nichts Neues" im Jahr 2024 einfach nicht um die Aussage herum: WIE SCHNELL IST DENN BITTE JETZT SCHON WIEDER DIE ZEIT VERGANGEN?! Fünf Jahre?! Seit "Hier und heute nicht"?! Das war 2019?! Heilige Guacamole.

Jetzt heißt es einigermaßen die Kurve zu kriegen, weg von der klischeehaften Einleitung dieses Textes und hin zu dem, was das neue Album von Montreal (hoffentlich) ausmacht. Die Band hat sich für ihre Verhältnisse ungewöhnlich viel Zeit für die Aufnahmen genommen und dennoch in der Zwischenzeit unzählige Konzerte gespielt, von denen glücklicherweise nicht allzu viele in Autokinos stattfanden. Nun haben Montreal ganze dreizehn neue Titel auf das Album gepackt und dabei ganz nebenbei die Hürde von 100 eigenen Songs erreicht, die in "Club 100" mit Kurz-Features von Dicken (Slime) und Vom Ritchie ausgiebig besungen und gefeiert wird. Nur eine von vielen erwähnenswerten Momenten dieses Albums.

Starten wir mit dem Titeltrack "Am Achteck nichts Neues", den Metaphern dahinter und den Erklärungen dazu. Auf dem Albumcover unschwer zu erkennen steht ein einfacher Bierwagen, andererorts auch als Ausschankwagen, Bierrondell oder eben ganz einfach auch als Achteck betitelt. Diese Dinger findet man zwar auf vielen Veranstaltungen, Montreal drücken der Geschichte jedoch den eher dörflichen Stempel auf und besingen Klischees ("Wenn du bunte Haare hast, hauen sie dir die Nase platt"), die dorthin einzuordnen sind. Es geht gegen Intoleranz und darum, dass egal in welchen Punkten sich diese Erde verändert, am Oktagon die Welt für immer still steht.

Ganz typisch und ähnlich den uns vorher schon bekannten Songs der Band werden viele der Inhalte mit einem mehr als deutlichen Augenzwinkern vermittelt und wurden mit einer großen Portion Kreativität ausgearbeitet. Sei es dabei "Was ich bin", in dem Hirsch eine ganz eigene Definition von sich selbst zum Besten gibt, die sogar einen Hauch von Liebeslied beinhaltet, oder "Fomo Sapiens", das die Angst etwas wichtiges zu verpassen auf die Nacht projeziert und davon handelt doch noch einmal zur nächsten Party weiterzuziehen, obwohl körperlicher Zustand und die Vernunft klar dagegen sprechen. Auch "Primadonna und Primat" lädt zum Schmunzeln ein, wenn jeweils zwei komplett gegensätzliche Menschen und Eigenschaften wie "versichert und verstrahlt sein", "Kombi und schwarz fahren" oder "Golf und GTA spielen" gegenüber gestellt werden. Kreativität und Spaß, seit jeher ein großer Bestandteil der Musik von Montreal.

Einem weiteren dieser Bestandteile kommt auf "Am Achteck nichts Neues" eine nahezu ebenso große Bedeutung zu: FEELINGS! Yonas besingt in "Straßen von Oberhausen" die erhofften Umstände nach dem eigenen Ableben, zwar unter Involvierung von Sonnenbrillen und Slayer, doch das Thema und auch die Art und Weise der Präsentation bleibt trotz Jahrmarktoutro ein ernstes. Zu Betonen sind hier die "Sondaschule! Sondaschule!"-Gesänge, die zusammen mit dem Songtitel und der jüngeren Vergangenheit in der Geschichte von Sondaschule als klares Zeichen in Richtung der Ska-Punker zu deuten sind. In "Mein Korn", welcher in Zusammenarbeit mit Sebastian Madsen geschrieben wurde, schalten Montreal fünf Gänge zurück und bringen ihren wohl sanftesten und gefühlvollsten Titel überhaupt. Und da im Teaser schon einmal darauf eingegangen wurde, gibt es für die ganz stumpfen Alltagsgefühle wie dem Durst auf Kaltgetränke und dem Durst auf Neues ja auch noch das mit Brewdog in Berlin gebraute Mauritsbräu und die achteckige Vinylsingle. Am Achteck nichts Neues? Von wegen!

Fazit

8.2
Wertung

Wenn einer Band nach 20 Jahren im Geschäft die Ideen nicht im Ansatz auszugehen scheinen, spricht doch nichts gegen noch einmal 100 Lieder? Gehen Montreal die dann genauso an wie die Dreizehn auf "Am Achteck nichts Neues", werden auch die nächsten Alben bedingungslos und trotz aller "Pressevorteile" den physischen Weg in mein Vinylregal finden. Gutes Teil! Und mit Bier aus meiner Lieblingsbrauerei. Was will ich mehr?

Mark Schneider