“Urian” wirkt vor diesem Hintergrund wie die anklopfende Kreativität, die sich selbst ganz ungebeten und ohne vorherige Kartierung zu Musik hat machen lassen. Das Album klingt über seine zehn Tracks deutlich diverser und ein Stück weit auch entkoppelter als noch “Kollaps”, ein klarer thematischer roter Faden gibt sich nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Dadurch fühlt sich “Urian” aber umso freier und aufbrausender an, wenn es vom Introtrack in sanfter Akustikmanier langsam über den Verlauf des nächsten Songs immer mehr die Härte der Band in den Fokus rückt. Einzelne Elemente, wie die vielen choralen Teile in Songs wie “Otus”, stechen stärker hervor und die Songs sind auch klarer voneinander abgegrenzt. Auch emotional und lyrisch ist “Urian” breiter gefächert, die Blicke richten sich genauso oft nach innen wie nach außen.
Nils Wittrock schafft es in seinen Texten an vielen Stellen, zwischenmenschliche Emotionen so lebensecht und ungekünstelt zu vermitteln, dass einem zwangsläufig ein Kloß im Hals bleibt. Bestes Beispiel hierfür ist “Stegodon”, der in ein paar Zeilen eine wunderschöne Reflektion einer plötzlichen Begegnung mit einem Menschen – mit allen Konflikten, Komplexitäten und Paradoxen, die das mit sich bringt – und das Wirrwarr, das manche Menschen in einem hinterlassen können, perfekt unperfekt beschreibt: du hast gar nichts, nichts zu tun mit meinem plan, und genauso unausdenkbar hab ich mir dich nie vorgestellt. Und deshalb bist du ganz wunderbar. “Du” kann hier eine ungeahnte romantische Begegnung oder eine plötzliche Freundschaft, vielleicht auch die Ankunft eines Kindes sein. Das ist nicht klar, es ist aber auch völlig egal, denn es berührt. The Hirsch Effekt zeigen hier einmal mehr, dass emotionale Leitfähigkeit und musikalische Komplexität sich nicht im Weg stehen müssen.