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Havarii. + Naechte und „Tremor“: Große Worte helfen viel

Havarii. und Naechte sezieren auf ihrer Split-EP vier Themen haarfein. Der Fokus liegt auf dem eigenen Seelenleben, doch auch der Hieb in Richtung Außenwelt bleibt nicht aus. Vier Songs voller großer Worte.
Havarii Tremor

Havarii., nordisch by Nature und Sound treffen auf kalte, klirrende Naechte vom Fuße der großen Berge im Süden. Fels und Brandung, zwei Quasi-Elemente, die die feinen Nuancen muskalischer Härte und menschlicher Emotion unübersehbar darlegen. Auf „Tremor“ finden sich vier feinfühlige und doch ausbrechende Songs zu Themen wie Zerrissenheit, drohender Perspektivlosigkeit oder dem Versuch, den Glauben an das Gute nicht zu verlieren. So wie die Musik selbst, lebt der Post-Hardcore von den Kontrasten. Harte Worte, weiche Töne, krachende Gitarren, sanftes Säuseln, prügelndes Schlagzeug untermalt den Hilferuf.

Als „Tremor“ wird das unwillkürliche, aber rhythmisch wiederholende Zusammenziehen konträr wirkender Muskelgruppen bezeichnet. Ohne dieses Bild genau verorten zu können, erscheint es doch irgendwie treffend. Die Schwere, die dieser EP in ihrer Kürze inne liegt, gleicht einem kurzen Zusammenziehen der Magengegend, dem bekannten Brechreiz ob des Ekels, der vor der Haustür wartet und der doch vorübergeht. Durchhaltevermögen ist vonnöten.

Havarii. gehört die erste Hälfte von „Tremor“. „Vermessen“ ist der eine Song, der sich nicht primär an das innere Selbst richtet. Die Band findet klare Worte gegen das Beschneiden der Individualität, gegen die Einzigartigkeit eines jeden Menschen auf diesem Planeten, gegen Regalfachdenken in Reinform. „Zwischen Welten“ schließt sich an und bringt einen weiteren Stein ins Rollen.  Die eigene Handhabung von Idealen und Wunschvorstellungen nämlich – und der Erkenntnis, dass diese nicht der Realität entsprechen, in welcher man trotzdem bestehen muss.
 

Naechte schlagen auf der zweiten Hälfte dieser famosen Split-EP scheinbar sanftere Klänge an. Doch gilt das auch nur in musikalischen Facetten. Denn die Worte, die Tom und Dani finden, sind allemal ganze Sätze, und außerdem harter Tobak. Mit der Angst, wenn statt den schützenden, eigenen vier Wänden plötzlich nur noch gähnende Kluft erscheint, beschäftigt sich der gleichnamige Song. Hier wird ein ganz und gar beklemmendes Gefühl transportiert. Die zweite Nummer der Münchener heißt „Stoßgebet“. Der akuten Notsituation, die dem Titel schon innewohnt, folgt der gebetsartige Charakter, eingewoben in das suchende Schreien. Wie lange das noch gut geht und wann der Aufprall kommt, sind die beiden zentralen Fragen, die hier gestellt werden. Die eine implizit, die andere klar und deutlich.
Doch – und auch das kennzeichnet den Post-Hardcore und seine Sensibilität – Antworten können hier keine gegeben werden.

Eine inhaltlich wie musikalisch überzeugende EP von zwei Bands, die sicherlich noch nicht in die weitreichendsten Dunstkreise vordringen konnten - und das aufgrund der Spartenklänge, die sie komponieren, vielleicht auch nie werden. Dennoch liegt so viel Kunst, Können, Schwere und Gedankengut in diesen vier Liedern, wie es eine 24-Stunden-Radioplaylist nicht bietet.

Eine wunderschöne abschließende (und einleitende) Facette der „Tremor“-EP ist außerdem, dass sie nicht bloß zwei mal zwei Songs von zwei Bands bietet, sondern durchdacht einen gut gewählten Opener wie auch Closer hat. Chapeau, meine Dame und Herren!
 

Fazit

7.2
Wertung

Dieser kantigen EP kann man keine glatte Ziffer zur Bewertung geben. Das Herzblut tropft nur so aus diesen knapp 20 Minuten Spielzeit. Beide Kapellen sind definitiv eine Empfehlung für Fans der emotionalen deutschen Schreimusik!

Merten Mederacke