Und dabei haben wir noch gar nicht von dem wohl grandiosesten Song-Triplett der Platte gesprochen. „Fingerbreit“ erinnert in seinem immer höher steigenden Spannungsbogen an den Titeltrack des vorangegangenen Albums, „Magnifique“ erschafft mit seiner melancholischen Zartheit Melodien von solcher Schönheit, dass es einem schlichtweg den Atem verschlägt. „Bastion“ bricht dagegen mit einer derart massiven Klangwand ein, dass die darauf unvermittelt einsetzende Ruhe ihre Anmut nur noch erhöht. All diese Songs zählen zu den größten Hymnen, die Fjørt jemals geschrieben haben.
Das lyrische Niveau zählt ebenfalls nach wie vor zur absoluten Speerspitze deutschsprachiger Musik. Fjørt verwandeln ihre Gefühle über zwischenmenschliche Konflikte, innere Zerrissenheit und Wut auf die Gesellschaft in solch opulente Poesie, dass allein der Genuss der Texte eisige Schauder verursacht. „Ich habe dich dabei erwischt / wie du majestätisch / Leinwände füllst / mit diesem wunderschönen ersten Pinselstrich“ – Zeilen, die das Gefühl des Trios für Kunst eindrucksvoll darlegen. Seine Lyrik ist das letzte Puzzleteil, das „Couleur“ zu einem absolut erhabenen Album mit großen Gefühlen und quasi keinen Schwächen macht.
Wie will man nach dem Genuss von „Couleur“ nun ein Fazit ziehen, das all die Facetten des Werks angemessen greift? Gemessen an der Klasse dieses Albums wird sich das wohl erst in einigen Jahren endgültig sagen lassen. Dann nämlich, wenn wir die nachträgliche künstlerische Rezeption dieser Platte überblicken können. Denn „Couleur“ ist so bahnbrechend, so wegweisend und in so vielen Aspekten um so viele Klassen besser als alles Dagewesene in diesem Genre, dass es in den kommenden Jahren kaum eine Post-Hardcore-Band als Referenzwerk ignorieren können wird. Beeindruckend ist dieses Album vor allem deswegen, weil Fjørt sich für seine Erschaffung gar nicht komplett neu zu erfinden brauchten. Vielmehr entdecken sie in ihrem ganz eigenen Sound immer wieder unglaublich viele Nuancen und Möglichkeiten, die man selbst kaum für möglich gehalten hätte. So kreieren sie auf ihrem Weg das bisher größte und tiefgehendste Werk ihrer Karriere, das längst nicht mehr nur vielversprechend ist, sondern seine Versprechungen auf ganzer Linie einhält. Ob Fjørt sich auf zukünftigen Platten noch einmal steigern können werden, bleibt abzuwarten. Eine Mammut-Aufgabe wird das aber allemal, denn von der Perfektion ist „Couleur“ nicht mehr weit entfernt.