In erster Linie schlägt das im Sturm kreisende Pendel von „Fake“ vor allem in die Richtung einer Menge an Songs, die zunehmend an Frontmann Max Riegers mehr als großartiges Nebenprojekt All Diese Gewalt erinnern. Gerade der Closer und Titeltrack weckt mit seiner minimalistischen Synthie-Grundlage und den säuselnd-repetitiven Vocals Assoziationen an die Electronic-Klanglandschaften von „Welt in Klammern“, aber auch Gitarren-lastigere Tracks wie „Neue Wellen“ oder „Explosionen“ befinden sich zunehmend in einer psychedelischen Schwebe und erschaffen so illusorische Scheinwelten. Ausgekontert werden diese Momente durch wesentlich schmerzhaftere Scharfkanten-Tracks wie „Frei“ oder „Skandinavisches Design“, die mit ihren grummeligen Charakteristiken stärker an die alten Die-Nerven-Platten erinnern und im Kontrast zu ihren Widerparten umso mächtiger wirken. In Perfektion geschieht das Wechselspiel zwischen Himmel und Hölle in „Dunst“, das zunächst zwischen zuckender Swans-Basslinie und rauschhafter Leichtigkeit changiert, schließlich aber in einer atemberaubenden Klimax ausbricht, die kaum merklich das Anfangsmotiv wieder aufgreift und so gleichzeitig raffiniert und gewaltig ist. Das fantastische „Niemals“ ist hingegen fast schon poppig, was der Band aber tatsächlich erstaunlich gut zu Gesicht steht.
Mit dieser musikalischen Zerrissenheit transportieren Die Nerven lyrische Botschaften, die mit ebenjenen Komplikationen der Identitätsfindung und der Suche nach Gewissheit in einer Gesellschaft voller Widersprüche selbst mit dem Chaos zu kämpfen hat. „Wo gehst du hin, wenn dich überall was stört?“, fragt „Niemals“, und liefert die nihilistische Antwort gleich im Refrain: „Finde niemals zu dir selbst.“ In „Alles falsch“ spricht die Verwirrung aus dem Protagonisten, der zwischen Selbsthass und der eigenen Beweihräucherung nicht die Mitte finden kann: „Ich mache alles falsch/Ich mache alles richtig/Wir machen alles falsch/Wir machen alles richtig.“ Im Closer gibt man sich dann fast wie in Trance doch geschlagen: „Her mit euren Lügen, her mit eurem Neid.“ Das Finale von „Fake“ ist trotz seiner musikalischen Konsonanz deswegen so überwältigend bitter, weil es die Kapitulation vor all den Problematiken darstellt, die es zuvor hervorgebracht hatte. So muss dieses Album uns Anlass geben, eine bessere Kehrtwende zu finden, damit wir nicht ähnlich erschüttert enden. Das vierte Album von Die Nerven ist gerade durch sein letztes Nachbeben ein erschreckender Trip in die eigene Seele, der musikalisch so klar und perfektionistisch wie noch nie konzipiert ist und einen dabei gleichzeitig so verwirrt wie noch nie zurücklässt. Das Leben kann grausam sein, aber immerhin haben wir das jetzt erkannt.