Kolumne

So lernt man System Of A Down: Die Album der Woche-Hochschule

Ihr wolltet euch schon immer in diese eine Band reinhören, von der alle reden, wisst aber gar nicht, wo ihr überhaupt anfangen sollt? Wir nehmen euch an die Hand. Die heutige Lektion in der AdW-Hochschule: System Of A Down.

Als beginnend mit dem Ende der 90er-Jahre das Nu-Metal-Genre das große Ding auf MTV war und Bands wie Limp Bizkit oder Linkin Park ihre Sternstunden hatten, kamen auch System Of A Down zum Vorschein. Viele der Acts von damals haben ihren Zenit mittlerweile massiv überschritten: Linkin Park wirkten der abschwächenden Nu-Metal-Welle schon mit ihrem dritten Album „Minutes To Midnight“ entgegen, indem sie sich auf einen alternativeren Stil konzentrierten. Disturbed haben seit dem monumentalen Erfolg ihres Simon-And-Garfunkel-Covers das Prinzip Unheilig durchschaut und schielen seitdem mehr und mehr in Richtung cineastischen Pathos-Pop. Und erinnert sich eigentlich noch jemand an Coal Chamber? Eben. Das Debüt von System Of A Down ist trotzdem bis heute unvergessen, weil es zwar eine moderne Art von Metal bediente, aber trotzdem so völlig anders klang als all die breitbeinigen Rock-Rap-Gemische, die zu dieser Zeit durch die Charts geisterten. Das armenisch-amerikanische Quartett hatte sich stattdessen vor allem immer durch sein wahnsinniges Songwriting ausgezeichnet, das bis heute in der Quote an verrückten Kehrtwendungen seinesgleichen sucht. 2001 schuf die Band mit ihrem zweiten Album „Toxicity“ dann einen Meilenstein, der Menschen wohl am ehesten noch bekannt ist, die mit System Of A Down so gar nicht vertraut sind. Aber wo fängt man bei einer Band an, die mittlerweile den virtuellen Wettstreit mit Tool um die längste Wartezeit für ein neues Album verloren hat? Wir zeigen es euch.

Bachelor: „Mezmerize“ und „Hypnotize“

„Toxicity“ ist der absolute Klassiker im System-Of-A-Down-Universum, wer aber am schnellsten in den Wahnsinn dieser Band finden will, fängt am besten mit dem Album-Doppel „Mezmerize“ und „Hypnotize“ an – den letzten beiden Studioalben, die die Band bis heute veröffentlicht hat. Ein Einstieg mit diesen Platten lohnt sich vor allem deswegen, weil sie das bunteste musikalische Material bieten, das System Of A Down je geschaffen haben. Eines der begeisterndsten Elemente der Band war immer genau ihr nahtloses Wechselspiel zwischen verschiedenen Stimmungen und Lautstärken gewesen, das innerhalb von Sekundenbruchteilen einen Song in eine völlig andere Stimmung werfen konnte. Wer das lieben lernen will, findet mit dem genialen Track „B.Y.O.B.“ eine Steilvorlage. Auf „Hypnotize“ findet sich mit „Lonely Day“ wiederum die schönste Ballade, die die Band je geschrieben hat – und die besticht gerade durch ihre Simplizität. Dazwischen haben System Of A Down auf diesen beiden Platten so unglaublich viele Graustufen zu bieten, das garantiert jeder etwas findet. Zu den grandiosesten rasanten Metal-Hymnen zählen das substanzielle „Question!“ oder der Geheimtipp „Dreaming“. Verdammt eingängig sind System Of A Down auf „Kill Rock & Roll“ oder dem übergenialen „Radio/Video“, dessen C-Teil aus einer immer schneller werdenden Polka besteht, bei dem man einfach nur grinsen muss. Apropos Grinsen: Wer lachen möchte, hört entweder „Vicinity of Obscenity“ oder das grandios betitelte „This Cocaine Makes Me Feel Like I’m On This Song“ und liest den Text mit. System Of A Down geben hier ihren oft sehr politisch aufgeladenen Lyrics einen Moment Pause und hängen einfach nur zusammenhanglose Satzfetzen aneinander. „Banana banana banana banana terracotta/ Banana terracotta terracotta pie.“ Überragend.

Master: „Toxicity“

Wer mit den hervorragend kurzweiligen „Mezmerize“ und „Hypnotize“ auf den Geschmack gekommen ist, ist bereit für den noch wesentlich massiveren Klassiker. Wer hier einsteigen will, bekommt absolute Smash Hits an die Hand. „Chop Suey!“, der berühmteste Song von System Of A Down, ist wohl der Charterfolg mit der merkwürdigsten Songstruktur seit „Bohemian Rhapsody“ und ist gerade deswegen so fantastisch. Am besten fängt man mit diesem Album allerdings einfach ganz von vorn an, denn in den unkonventionell abrupten Einstieg von „Prison Song“ kann man sich eigentlich nur verlieben. Wer dort anfängt, wird schnell erkennen, warum „Toxicity“ bis heute als Meilenstein gilt: Da gibt es manische Volkstänze in „Needles“, bombastischen Hymnus in „Aerials“ oder das umwerfende Wechselspiel von „Atwa“, einem Geheimtipp der Platte. Und wer ganz bis zum Ende und dem halbversteckten Schlusstrack „Arto“ durchhält, wird mit einer Reminiszenz an armenische Volksmusik belohnt, die so gar nichts mit Metal am Hut hat – aber sich doch erstaunlich wohlplatziert anfühlt.

Promotion: „System Of A Down“ und „Steal This Album!“

Das selbstbetitelte Debüt von System Of A Down ist wohl das sperrigste Album der Diskographie. Die Produktion ist ziemlich rumpelig und die Songs knallen einem ihre überraschenden Strukturen noch nicht derartig ins Gesicht. Das sollte einen aber nicht davon abhalten, die vielen Perlen dieser Platte zu entdecken. Diese hängen oft mit kongenialen Stimmverrenkungen von Sänger Serj Tankian zusammen. „Sugar“ gehört mit seinem herrlich bekloppten Tanzrhythmus zu den besten System-Of-A-Down-Songs aller Zeiten, gekrönt durch die immer wieder feierbare Bridge, in der Tankian mit jeder Zeile eine völlig andere Gefühlslage auszudrücken vermag und so von Wut bis Wahnsinn das Bild eines schizophrenen Killers mimt. Und in „Suggestions“ kann er einfach mal kurz mit Micky-Maus-Stimme singen. Wer das durchhat, kann auch „Steal This Album!“ hören, das nochmal unter Beweis stellt, warum „Toxicity“ so genial ist. Hierbei handelt es sich nämlich um die B-Seiten aus den Aufnahmesessions zu ebenjenem Album und selbst die sind besser als die meisten Platten fast aller anderen Bands. Den noch skizzenartigen Charakter merkt man den Songs teilweise an, das tut aber etwa dem frenetischen Opener „Chic N‘ Stu“ keinen Abbruch, dessen Gaga-Text über Pizza-Belag hier tatsächlich mal System zu haben scheint und die Überforderung durch Kommerzialisierung symbolisiert. Auch toll: „Roulette“ mit seiner für System Of A Down sehr ungewöhnlichen Instrumentation aus Streichern und Mandoline.

Habilitation: B-Seiten und 2020-Singles

Wer nach dem Genuss der fünf großen System-Of-A-Down-Hauptwerke immer noch nicht genug hat, der schaut am besten, dass er irgendwo im Second-Hand-Plattenladen noch ein Exemplar der „Lonely Day“-Maxisingle kriegt. Darauf enthalten sind nämlich noch vier der besten B-Seiten aus der System-Of-A-Down-Diskographie, die es sonst nur auf Bootlegs gibt. „Shame“ mit Wu-Tang-Mitglied RZA ist der vielleicht deutlichste Beweis dafür, dass System Of A Down tatsächlich aus der Nu-Metal-Ära stammen und „Metro“ gilt unter Kennern sogar als geheimer Klassiker der Band. Die neuesten Veröffentlichungen von System Of A Down sind die 2020 erschienenen Songs „Protect The Land“ und „Genocidal Humanoidz“. Die sind solides Material, das man als Die-Hard-Fan natürlich auch noch hören muss – aber interessanter sind da eigentlich eher Teile aus Serj Tankians Solo-Diskographie oder Daron Malakians Zweitband Scars On Broadway.